Fundort Jannowitzbrücke
»Barbara. Laut Protokoll war sie gestern im rechtsmedizinischen Institut, um Bettina vor der Obduktion zu identifizieren.«
Olaf nickte leicht, seine Aggressivität war verschwunden. »Das stimmt«, sagte er. »Ich konnte schließlich nicht aus dem Krankenhaus weg.«
Michael sah überrascht auf. »Sie denken, es wäre Ihre Aufgabe gewesen, Bettina zu identifizieren?«
»Es wäre Mutters Aufgabe gewesen«, sagte er. »Doch sie lag noch im Krankenhaus. Ich hätte an ihrer Stelle gehen müssen.«
Er vergrub den Kopf in seinen großen Händen, atmete tief durch und sah wieder auf. »Doch Mutter ging es so schlecht. Ich wollte nicht aus dem Krankenhaus weg. Eine Polizeibeamtin war da und sagte, es wäre nur eine Formsache. Das könne auch Barbara machen. Und jetzt durfte ausgerechnet Barbara sie als letzte sehen.« Olaf Nowack sah Michael fast verzweifelt an. »Es ging so schnell, wir hatten ja noch nicht einmal begriffen, was passiert war.«
Michael wartete ein paar Sekunden, bevor er seine nächste Frage stellte: »Ihre Schwestern haben sich nicht besonders gut verstanden?«
Olaf zuckte mit den Schultern. »Barbara ist so anders«, sagte er. »Sie hält nicht besonders viel von uns. Und wir mögen sie auch nicht. Es hat nie richtig geklappt zwischen uns. Im Grunde gehört sie gar nicht zur Familie.«
»Sie denken, Sie wären es Bettina schuldig gewesen, anstelle Ihrer Schwester zu gehen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er müde. »Ich denke, es ist, wie es ist. Nur für Mutter wäre es schön gewesen, wenn es anders gelaufen wäre.«
»Könnte Barbara uns vielleicht weiterhelfen, was das Umfeld Ihrer Schwester Bettina angeht?«
»Ich glaube nicht«, sagte er. »Sie hatten seit Jahren so gut wie keinen Kontakt mehr. Aber versuchen Sie es. Sie wird Ihnen nur keine schönen Dinge über uns erzählen.«
Der Streifenwagen stand in einer geräumigen Parkbucht am Rande des Straußberger Platzes. Der Verkehr floß ruhig um das Rondell mit den Springbrunnen. Das Grün des Rasens begann eine frischere Farbe anzunehmen, und erste Krokusse streckten sich dem Licht entgegen.
Anna Proschinski hatte die Scheibe ein wenig heruntergekurbelt. Die Wolken waren plötzlich aufgebrochen und hatten die Märzsonne freigegeben. Sie schloß die Augen und ließ sich das Gesicht von den Strahlen wärmen.
Sie hatte mit einem Kollegen ihre Nachtschicht gegen seine Tagschicht eingetauscht, weil er etwas Wichtiges erledigen mußte. Jetzt fühlte sie sich schwach und müde, wie immer steckte ihr der Schichtwechsel in den Knochen. Jürgen, ihr Kollege, war kurz über die Straße gelaufen, um zwei Becher Kaffee zu holen, als sich die Einsatzleitung über Funk meldete.
»Was macht ihr gerade, seid ihr frei?«
»Ja, was steht denn an?«
»Anna, du bist doch geschult worden für die Entnahme von Speichelproben, nicht wahr?«
»Geschult ist ein bißchen hoch gegriffen«, sagte sie. »Ich war mal dabei, und eine Ärztin hat mir gezeigt, was ich machen muß.«
»Hervorragend«, sagte er. »Wir haben einen Einsatz, und es fehlt noch an Helfern.«
»Aber das kann wirklich jeder machen«, protestierte sie. »Dafür braucht man keine Schulung.«
»Laß dich von Jürgen absetzen, er soll danach ins Revier kommen und seine Berichte aufarbeiten.«
Sie verfluchte ihn innerlich, beließ es dann aber dabei. »Wo muß ich hin?«
»Alexanderplatz. Du findest die Kollegen im Burger Point neben dem Park Hotel.«
Zwei Stunden später hatte die Speichelentnahme noch immer nicht begonnen. Lediglich die Vorbereitungen dafür waren getroffen. Anna streckte sich gähnend und schlenderte in den vorderen Teil des Schnellrestaurants. Sie hätte längst Feierabend haben müssen, dachte sie leicht verärgert. Der Dienststellenleiter hatte ihr verschwiegen, daß sie auch für die Vorbereitung der Räume und die Koordination der Entnahme vorgesehen war.
Sie hängte die Uniformjacke über einen Stuhl und setzte sich an einen Tisch mit Fensterblick. Gleich war Schichtwechsel, und dann würde sie die Sache schnell durchziehen. Im Schnellrestaurant war zu dieser Zeit kaum noch ein Gast. Nach einem betriebsamen Nachmittag war Ruhe eingekehrt. Einige Kassiererinnen lehnten im Durchgang zur Küche und quatschten mit den Küchenhilfen. Eine andere Mitarbeiterin lief umher, räumte stehengelassene Tabletts von den Tischen und sortierte den Müll in die Wertstoffbehälter.
Anna lehnte sich zurück und versuchte, ein wenig zu entspannen.
»Möchten Sie einen
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