Fundort Jannowitzbrücke
stand.
»Es ist nicht einfach, innerhalb einer Familie völlig isoliert zu sein«, versuchte er es weiter.
Für einen Augenblick wirkte Barbara Nowack wie zerschlagen. Sie fuhr sich erschöpft mit der Hand durch das
Gesicht. Michael sah sie nachdenklich an. Vielleicht war solch ein Schicksal noch schlimmer, als überhaupt keine Familie zu haben, dachte er. Im Gegensatz zu ihm mußte sie an zwei Fronten kämpfen.
»Sie sehen, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen«, sagte sie. »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, dann würde ich Sie jetzt gern verabschieden.«
Michael nickte. Es gab keinen Grund, sie weiter zu quälen. Also bedankte er sich und verließ die Wohnung. Von der Straße aus sah er zu ihren Fenstern hoch. Doch sie hatte das Licht gelöscht.
Er setzte sich in seinen Golf und steckte den Zündschlüssel ins Schloß. In diesem Moment ertönte das Handy in seinem Handschuhfach. Er zog es hervor und sah auf das Display. Es war Elisabeth.
»Wo bist du?« fragte sie.
»Am Treptower Park. Ich wollte gerade nach Hause.«
»Ich bin bei der Premierenfeier im Kino International«, sagte sie hastig. »Die Interviews habe ich bereits im Kasten, und wir könnten uns sehen, wenn du Zeit hast. Holst du mich ab?«
»Was ist mit Werner?« fragte er.
»Was soll schon mit ihm sein! Er ist zu Hause bei den Kindern. Er rechnet so früh nicht mit mir.«
Michael dachte an die Szene in der Kollwitzstraße. Er hatte ihre Zweisamkeit von der Straße aus beobachtet. Elisabeth und Werner Held. Und wieder einmal fühlte er sich wie ein Eindringling. Als wäre er es gewesen, der sich gewaltsam in ihre Ehe gedrängt hätte.
»Na, was ist?« sprach sie in seine Gedanken hinein.
»Ja, klar«, sagte er. »Ich freue mich.«
»Bis gleich.«
Er beendete das Gespräch und starrte auf das Display. Kurz noch leuchtete ihr Name in der Dunkelheit, dann verlosch er langsam. Michael warf das Handy neben sich auf den Sitz und startete den Wagen.
Barbara Nowack atmete erleichtert aus, nachdem der Kommissar die Tür hinter sich zugezogen hatte. Sie lauschte in die Stille der Wohnung.
Schöne hatte nichts gesehen. Das Versteck in ihrem Schlafzimmer war seinen neugierigen Blicken verborgen geblieben. Sie vergewisserte sich, daß es sonst nirgends einen Hinweis auf die Dinge gab, die sie dort zusammengetragen hatte.
Plötzlich fiel ihr ein, daß der Kommissar sie von draußen würde beobachten können. Die Vorhänge waren weit zurückgezogen, und die Fenster führten direkt auf die Straße. Mit einer schnellen Handbewegung schaltete sie das Licht aus.
Sie ging mit großen Schritten zum Fenster und sah hinaus. Der Kommissar stand unten vor seinem Wagen. Er blickte noch einmal hoch, ehe er einstieg. Sie beobachtete, wie er im Wagen telefonierte, dann sein schmutziges Auto startete und davonfuhr.
Sie sah ihm nach, bis er in die Hauptstraße einbog. Dann griff sie nach ihrem Mantel. Sie war lange genug aufgehalten worden.
Erst spät abends machte sich Wolfgang Herzberger auf den Weg nach Hause. Müde ging er die Flure entlang und löschte alle Lampen, die in den verlassenen Büros noch brannten. Er wollte gerade hinunter in den Hof, als er in der fünften Etage noch Licht sah.
Er stieg die Treppen hinauf, bis zu dem Besprechungsraum unterm Dach, und öffnete die Tür. Gerhard Pohl, der Fallanalytiker, stand mit einem Stift vor dem Flipchart, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Er hatte die Ärmel seines Hemdes aufgekrempelt und die Krawatte gelockert. Auf dem Pult lag seine Brille.
Als er Wolfgang hereinkommen hörte, drehte er sich zu ihm um.
»Herr Herzberger«, rief er überrascht. »Sie sind noch im Haus?«
Wolfgang winkte ab. »Ich hatte noch ein Gespräch mit der Pressesprecherin.«
Ein Lächeln huschte über Gerhard Pohls Gesicht. »Die hat auch keinen leichten Job zur Zeit.«
»Sie sagt, sie habe große Lust, alles hinzuwerfen und woanders anzufangen. Ganz egal, wo, sagt sie, Hauptsache, sie kann Erfolgsmeldungen an die Presse weitergeben.«
»Ich glaube, bei Scientology ist eine entsprechende Stelle frei«, sagte Pohl.
»Ich werde es ihr ausrichten«, meinte Wolfgang lächelnd. »Und wie kommen Sie voran?«
Der Fallanalytiker seufzte tief und starrte auf das Flipchart. Das Papier war voller für Außenstehende unverständlicher Kürzel, umrahmt von zahllosen Pfeilen und Kreisen.
Wolfgang zog einen Stuhl heran und setzte sich.
»Was denken Sie über unsere Ermittlungsstrategie?« fragte er den Fallanalytiker. »Wir stellen
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