Fundort Jannowitzbrücke
»Ich hatte eine Rolle Fünfzig-Cent- Stücke verloren und wollte nachsehen, ob ich sie dort liegengelassen hatte.«
»Und?«
»Im Pausenraum waren Bettina und Serkan, eine der Küchenhilfen. Sie waren ...« Sie suchte nach Worten. »... intim miteinander. Vielleicht weiß Serkan ja noch etwas. Der wurde nämlich bislang von der Polizei gar nicht befragt.«
6
Wolfgang Herzberger wartete vor dem steinernen Friedhofstor. Michael hatte ihn bereits dort stehen sehen und beeilte sich, die Greifswalder Straße hinunterzulaufen. Er hatte eine Zeitlang mit seinem Golf durch die Straßen kurven müssen, bis er einen Parkplatz in der Nähe des Friedhofs gefunden hatte.
Die breite Straße zitterte unter der Last des dichten Verkehrs. Michael rief seinem Chef etwas zu, doch seine Stimme ging im Bimmeln einer herannahenden Straßenbahn völlig unter. Er wartete, bis sie vorübergerumpelt war, dann hastete er über die Straße.
Wolfgang sah ihn müde an.
»Ich bin nur fünf Minuten zu spät«, sagte Michael.
Er wollte nach der Beerdigung fragen, doch da fiel ihm eine breite Dreckspur auf dem Mantel seines Chefs auf. Sie verlief von der Hüfte abwärts, quer über den teuren Stoff.
»Was ist denn mit dir passiert?«
Wolfgang zuckte mit den Schultern und deutete zu dem schmalen Friedhofsweg, der steil hinauf zu den Gräbern führte. Jenseits der Straße hatte die Märzsonne den letzten Schnee noch nicht tauen lassen, und unter dem Matsch verbarg sich noch eine Anzahl gefährlich glatter Stellen.
Michael konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »War es denn wenigstens interessant?«
»Es war niemand da, den wir nicht bereits befragt hätten«, sagte Wolfgang. »Die Familie, ein paar Freundinnen und die Belegschaft aus dem Burger Point. Die Restaurantleiterin hat die Filiale für zwei Stunden geschlossen, damit alle zur Beerdigung gehen konnten.«
»Also nichts Auffälliges.«
»Nein«, sagte er. »Wenn man einmal davon absieht, daß Barbara Nowack nicht zur Beerdigung ihrer Schwester gekommen ist.«
Michael schaute überrascht auf. »Sie ist nicht gekommen?«
Er sah zum Friedhof hinüber. Neben dem Tor befand sich ein Blumenladen, der in einem schmutzigen Klinkerbau untergebracht war. Einzelne Kränze standen auf dem Bürgersteig, ihre Zweige reichten fast bis auf die Fahrbahn. Er dachte über das Gespräch nach, das er am Vorabend mit Barbara geführt hatte.
Dann wandte er sich seinem Chef zu. »Fahr du mit meinem Wagen in die Keithstraße. Ich komme mit der U-Bahn nach.«
»Was hast du denn jetzt vor?«
»Es ist nur eine Idee. Ich bleibe noch.«
»Und weshalb?« fragte Wolfgang ärgerlich. »Glaubst du, der Täter wartet auf das Ende der Trauerfeier, um sich dann auf den Friedhof zu schleichen?«
»Bitte, Wolfgang«, sagte er eindringlich. »Ich komme in einer halben Stunde nach. Versprochen.«
Sein Chef sah sich mißmutig um. »Was ist denn mit den Plattenbauten an der Alexanderstraße, seid ihr damit fertig?« fragte er schließlich.
»Den Bericht schreibe ich später«, sagte Michael. »Notfalls noch heute nacht.«
Wolfgang seufzte. »Um 15 Uhr 30 ist Dienstbesprechung. Spätestens dann bist du wieder in Schöneberg. Verstanden?«
Michael nickte und drückte ihm den Autoschlüssel in die Hand.
»Na, dann hoffe ich mal, daß mir dein Golf nicht unterm Hintern zusammenbricht«, murmelte Wolfgang im Gehen.
»Bei dir fährt er doch immer tadellos«, sagte Michael. »Weiß der Teufel, wie du das anstellst.«
Doch den letzten Satz hörte Wolfgang Herzberger nicht mehr. Er war bereits über die Fußgängerampel in Richtung Parkplatz verschwunden.
Michael sah sich um. Auf der anderen Straßenseite entdeckte er ein Cafe. Hinter den Fenstern standen schlichte Holztische und riesige Sessel, von denen aus er eine freie Sicht auf das Friedhofstor haben würde. Also gut, dachte er und machte sich auf den Weg. Ich werde warten.
Eine halbe Stunde später starrte Michael Schöne noch immer aus dem Fenster des Cafes. Er stocherte bereits in seinem zweiten Stück Torte herum und tunkte gedankenlos Sahnestückchen in den Kaffee.
Da tauchte Barbara Nowack vor dem Friedhof auf.
Im ersten Moment hätte er sie fast nicht erkannt, sie hatte sich eine Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Vor dem Tor blieb sie stehen und betrachtete den steinernen Torbogen. Dann schlug sie den Kragen ihrer Lederjacke hoch und ging hindurch.
Michael bezahlte eilig und verließ das Cafe. Als er auf die Straße trat, war Barbara Nowack
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