Fundort Jannowitzbrücke
Geräusch ohne Anfang und ohne Ende. Er rutschte zurück in die Kissen und lauschte, solange er den Atem anhalten konnte.
Um zehn Minuten vor drei wurden in der Burger-Point-Filiale am Alexanderplatz die letzten Bestellungen aufgegeben. Eine Handvoll Nachtschwärmer und Schichtarbeiter hatte sich eingefunden, um die letzte Gelegenheit zu nutzen, noch etwas zu essen zu bekommen.
Anna Proschinski hatte Ute sofort hinter der Verkaufstheke gesehen. Gerade drückte sie einem Gast das Wechselgeld in die Hand. Dann blickte sie hoch und entdeckte Anna im Eingang. Ein überraschtes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
»Hast du heute Schlußdienst?« wollte Anna wissen.
Sie war einige Stunden zuvor zur Entnahme der Speichelproben im Burger Point gewesen, als Ute gerade gearbeitet hatte. Dabei hatte Anna von den unterschiedlichen Schichtmodellen erfahren. Für den Schlußdienst waren jede Nacht zwei Mitarbeiter eingeteilt, die nach Schichtende noch blieben und für den nächsten Tag aufräumten.
»Nein«, sagte Ute. »Ich kann in fünf Minuten gehen.«
»Prima! Was hältst du davon, wenn ich dich nach Hause bringe?«
»In einem Streifenwagen?« Ihre Augen leuchteten auf.
»Ja, natürlich«, sagte Anna. »Du sitzt auf dem Beifahrersitz. Mein Kollege Jürgen bleibt solange hier und ißt eine Kleinigkeit.«
Ute konnte es kaum glauben. »Geht das denn so einfach?«
»Heute nacht ist überhaupt nichts los«, log Anna. »Es wird schon niemandem auffallen, wenn ich ein paar Minuten alleine mit dem Wagen unterwegs bin.«
Tatsächlich hatte sie mit der Einsatzleitung abgesprochen, das Mädchen nach Hause zu bringen. Die Nerven lagen bei allen bloß, nachdem der Verdächtige entkommen war. Auch wenn es keinen unmittelbaren Anlaß zur Sorge gab, denn der Mann hatte anscheinend den Tatort nur aufgesucht, um seine Tat nochmals in Gedanken zu durchleben. Darüber hinaus ging niemand davon aus, daß die Mädchen aus dem Burger Point bedroht waren. Schließlich suchte sich der Täter seine Opfer sorgsam und über einen langen Zeitraum aus. Und letztlich war er in dieser Nacht sicher in die Flucht geschlagen worden. Dennoch fühlten sich alle besser, wenn heute keines der Mädchen allein nach Hause fahren mußte.
Ute nahm aufgeregt ihre Kassenlade unter den Arm. Sie strahlte Anna an und verschwand nach hinten ins Büro, um die Abrechnung zu machen. Es dauerte nur wenige Minuten, dann war sie fertig. Sie kletterte zu Anna ins Auto, und sie fuhren los.
»Was ist heute nacht passiert?« fragte Ute auf der Alexanderstraße.
Anna dachte kurz nach. »Wir hatten zwei Verkehrsunfälle«, sagte sie. »Dann einen Betrunkenen, der Touristen belästigt hat. Und schließlich haben wir uns an einer Verfolgung des LKA beteiligt, ein Observationsteam hat einen Verdächtigen überwacht, der ihnen entwischt ist. Aber wir haben ihn leider nicht geschnappt.«
»Das ist doch toll!« rief Ute.
»Aber er ist uns entwischt«, sagte Anna belustigt.
»Trotzdem! Sie erleben so viel!«
Anna lächelte und konzentrierte sich auf die Straße. Ute schwieg und sah nachdenklich aus dem Fenster.
»Bei mir jedenfalls passiert nie etwas«, sagte sie schließlich leise.
Anna überlegte, was sie darauf erwidern könnte. Doch ihr fiel nichts ein.
»Wenn ich ins Bett gehe«, fuhr das Mädchen fort, »habe ich nur ein bißchen Geld verdient, passiert ist aber nichts. Es ist nur ein Tag meines Lebens vorbei.«
Anna wollte das Thema wechseln. »Wo muß ich jetzt abfahren?« fragte sie, obwohl sie die Strecke kannte. »Dort in die Dresdener?«
»Genau«, sagte Ute. »Und dann über den Todesstreifen. Da vorne ist es schon.«
Als Anna vor dem Haus hielt, wandte sich Ute ihr noch einmal zu.
»Frau Proschinski?« fragte sie vorsichtig. »Glauben Sie, ich könnte auch Polizistin werden?«
Die Polizeibeamtin stutzte. Sie wußte, sie mußte schnell reagieren. Ihr mußte etwas einfallen, was die junge Frau nicht zu sehr verletzen würde.
Doch sie zögerte zu lange. Ute nickte und stieg eilig aus dem Wagen. Sie war schon fast an ihrer Tür, als sie sich nochmals umdrehte.
Anna sah ihr an, wie bemüht sie war, ihre Enttäuschung zu überspielen.
»Mir ist da noch etwas zu Bettina eingefallen«, sagte sie. »Ich weiß aber nicht, ob das wichtig ist. Und ich will über niemanden schlecht sprechen.«
»Du kannst es mir ruhig sagen. Ich werde es nicht an die große Glocke hängen.«
»Ich bin neulich während der Schicht in den Pausenraum gegangen«, sagte sie.
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