Fundort Jannowitzbrücke
wenn er es nicht alleine schafft.«
»Das ist eine Frage der Interpretation«, sagte Elisabeth. »Sie sehen die Figur zu eindimensional.«
»Aber was hat er denn von ihr zu erwarten?«
»Ich denke, die Frau macht sich große Sorgen um ihren Liebhaber. Sie hat Angst um ihn. Und diese Angst nimmt mehr Raum ein, als sie ihr zugestehen möchte. Sie ist verwirrt. Sie wollte den Liebhaber aus ihrem Leben heraushalten. Doch dann ist er zu einem wichtigen Bestandteil geworden. Sie weiß, daß sie trotz allem für ihn dasein muß.«
»Ist das wirklich so?«
»So habe ich den Autor verstanden.«
»Du könntest dir also vorstellen, darüber zu schreiben?«
»Also gut«, sagte sie. »Ich werde einen Artikel bringen. Aber ich möchte vorher noch mal mit Ihnen sprechen.«
»Gut. Sprechen wir miteinander.«
Eine Pause entstand. »Ich danke Ihnen«, sagte Elisabeth schließlich und legte auf.
Michael schaute auf das Gerät in seiner Hand. Ihr Name leuchte noch einige Sekunden auf, dann verschwand er in der Dunkelheit.
Ein sonderbares Gefühl breitete sich in ihm aus. Er war erschöpft, fühlte sich aber dennoch ruhig. Es war, als hätte Elisabeth ihm ihre Liebe gestanden.
Sie würde Werner niemals verlassen. Er durfte das nicht vergessen. Und trotzdem. Er konnte nicht anders, als sich der süßen Täuschung hinzugeben, daß es für sie eine Zukunft gäbe.
Michael sah hinauf in den Himmel. Dünne Wolken zogen unter den Sternen auf. Die Nacht würde kalt werden. Über ihm, im vierten Stock, brannte noch Licht. Wolfgang Herzberger stand am Fenster seines Büros und sah hinaus. Eine
Streifenpolizistin tauchte neben ihm auf, und sie begannen miteinander zu diskutieren.
Michael wandte sich ab und startete den Wagen. Er würde zu spät zum Alexanderplatz kommen, wenn er sich nicht beeilte.
Der Ansturm im Burger Point war so schnell abgeflaut, wie er gekommen war. Die meisten Gäste waren wieder gegangen. Nur noch eine Handvoll Tische war besetzt. Und überall stapelte sich der Müll.
Die Ordnungskraft, die für die Toiletten und den Restaurantbereich zuständig war, sammelte nach und nach die Tabletts ein, die auf den Tischen verteilt standen. Angenagte Burger türmten sich auf ihnen, leere Packungen und umgekippte Colabecher.
Ute hatte ihre Kasse abgeschlossen und ging in den Restaurantbereich, um der Ordnungskraft beim Aufräumen zu helfen. Sie schnappte sich ein paar Tabletts, trug sie zur Entsorgungsstation und sortierte den Müll. Es tat ihr gut, allen eine Weile lang den Rücken zuzuwenden und nicht lächeln zu müssen. Sie war so sehr mit dem Aufräumen beschäftigt, daß sie das Auftauchen ihrer Chefin zunächst nicht bemerkt hatte. Marga Rintow stand nachdenklich an einer Säule und sah ihr beim Mülltrennen zu.
»Das war ein ganz schöner Ansturm, nicht wahr?«
Ute lächelte. »Wir haben es ganz gut gemeistert, oder?«
»Ja, das habt ihr. Ihr seit wirklich ein tolles Team.«
Ute glaubte einen traurigen Tonfall in ihrer Stimme zu hören.
»Möchtest du Feierabend machen?« fragte ihre Chefin nach einer Pause.
Ute sah sie überrascht an. »Geht denn das so einfach?«
»Wenn tatsächlich noch ein Schwung kommt, dann stelle ich mich hinter die Kasse.«
»Das würden Sie tun?« Ute konnte es kaum glauben.
»Aber natürlich. Wenn du gehen möchtest, mache ich hier weiter. Du kannst ruhig nach Hause.« »Sehr gerne!« rief Ute und zog sich die Mütze vom Kopf. Doch dann fiel ihr etwas ein. »Hat nicht die Geschäftsführung erlassen, daß die Spätschicht geschlossen bis zum Schluß bleiben muß?«
Marga Rintow winkte nur müde ab. »Das spielt doch keine Rolle mehr«, sagte sie gedankenverloren. »Das ist nun alles nicht mehr wichtig.«
Sie nahm Ute das Tablett aus der Hand und sortierte die Reste in die Müllbehälter. Ute stand einen Augenblick unsicher neben ihr und fragte sich, weshalb ihre Chefin sich so sonderbar verhielt. Doch schließlich zuckte sie mit den Schultern, lief in den Pausenraum und zog ihren Mantel über. Sie wollte das Restaurant verlassen, als Marga Rintow sie noch mal zu sich winkte.
»Tu mir einen Gefallen, bevor du gehst.« Sie zeigte zu einem der letzten besetzten Tische in der Nähe des Fensters. »Siehst du die Männer dort am Tisch sitzen?«
Ute nickte.
»Sie sind von der Polizei.«
»Von der Kripo?«
Ihre Chefin zuckte mit den Schultern. »Ich denke schon. Sie sind seit einer halben Stunde hier. Offenbar macht die Polizei sich Sorgen, weil sie Bettinas Mörder immer noch
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