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Funke, Cornelia

Funke, Cornelia

Titel: Funke, Cornelia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rekkless
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unter den überwachsenen Torbögen. Kein Diener hastete über den Hof,
und auf dem Pflaster lagen die feuchten Blätter so hoch, als hätte ihn seit
Jahren niemand gefegt.
    »Endlich.
Ich dachte, du wachst niemals auf.«
    Jacob
stöhnte, als Fuchs ihm die Schnauze gegen die Schulter stieß.
    »Vorsicht,
Fuchs!« Clara half ihm, sich aufzusetzen. Sie hatte seine Schulter frisch
verbunden, aber sie schmerzte schlimmer denn je. Die Plünderer, die Goyl ...
Mit dem Schmerz kam alles zurück, doch Jacob konnte sich nicht erinnern, wann
er das Bewusstsein verloren hatte.
    Clara
richtete sich auf. »Die Wunde sieht nicht gut aus. Ich wünschte, ich hätte ein
paar Pillen aus unserer Welt!«
    »Es wird
schon gehen.« Fuchs schob ihm besorgt den Kopf unter den Arm. »Wo sind wir?«,
fragte er sie.
    »Im
einzigen Unterschlupf, den ich finden konnte. Das Schloss ist verlassen.
Zumindest von den Lebenden.«
    Fuchs
stieß mit der Pfote die verfaulten Laubschichten auseinander. Ein Schuh kam
zum Vorschein.
    Jacob
blickte sich um. An vielen Stellen lagen die Blätter so verdächtig hoch, als
bedeckten sie ausgestreckte Körper.
    Wo waren
sie?
    Er suchte
Halt an einer Mauer, um sich aufzurichten, und zog mit einem Fluch die Hände
zurück. Die Steine waren mit Dornenranken bedeckt. Sie waren überall, wie ein
stachliger Pelz, der dem ganzen Schloss gewachsen war.
    »Rosen«,
murmelte er und pflückte eine der Hagebutten, die an den verschlungenen Ranken
wuchsen. »Ich suche seit Jahren nach diesem Schloss! Dornröschens Bett. Die
Kaiserin würde ein Vermögen dafür zahlen.«
    Clara
blickte ungläubig über den stillen Hof.
    »Angeblich
findet jeder, der in dem Bett schläft, wahre Liebe. Aber wie es scheint«, Jacob
musterte die dunklen Fenster, »ist der Prinz nie gekommen.«
    Oder er
war wie ein aufgespießter Vogel in den Dornenranken verendet. Zwischen den
Rosen ragte eine mumifizierte Hand hervor. Jacob schob die Blätter darüber, bevor
Clara sie bemerkte.
    Eine Maus
huschte über den Hof, und Fuchs setzte ihr nach, aber sie blieb schon nach
einem Satz mit einem Wimmern stehen.
    »Was ist
mit dir?«, fragte Clara. Die Füchsin leckte sich die Seite. »Der Dreifinger hat
mich getreten.«
    »Lass mich
sehen.« Clara beugte sich zu ihr herab und tastete vorsichtig über das seidige
Fell.
    »Wirf den
Pelz ab, Fuchs!«, sagte Jacob. »Sie versteht mehr von Menschen als von
Füchsen.«
    Fuchs
zögerte, doch schließlich gehorchte sie, und Clara starrte das Mädchen an, das
plötzlich vor ihr stand - in einem Kleid, das aussah, als hätte der rote Mond
es ihr auf den Leib gesponnen.

Was ist das für eine Welt?, fragte ihr Gesicht, als sie sich
zu Jacob umsah. Wenn Fell zu Haut oder Haut zu
Stein werden kann, was bleibt dann? Angst. Fassungslosigkeit. Und
Verzauberung. Es war alles in ihrem Blick zu finden. Sie trat auf Fuchs zu und
strich sich dabei über die eigenen Arme, als fühlte sie dort auch schon einen
Ansatz von Fell.
    »Wo ist
Will?«, fragte Jacob.
    Clara wies
auf den Turm neben dem Tor. »Er ist schon mehr als eine Stunde dort oben. Er
hat kein Wort gesprochen, seit er sie gesehen hat.«
    Sie
wussten beide, von wem sie sprach.
     
    Die Rosen
wucherten nirgendwo dichter als an den runden Mauern des Turmes. Ihre Blüten
waren so dunkelrot, dass die Nacht sie fast schwarz färbte, und ihr Duft hing
so süß und schwer in der kalten Luft, als spürten sie den Herbst nicht.
    Jacob
ahnte schon, was er unter dem Turmdach finden würde, bevor er die enge
Wendeltreppe hinaufstieg. Die Ranken krallten sich in seine Kleider, und er
musste die Stiefel immer wieder aus den dornigen Schlingen befreien, doch
schließlich stand er vor dem Raum, in dem vor fast zweihundert Jahren eine Fee
ihr Geburtstagsgeschenk überbracht hatte.
    Das
Spinnrad stand neben einem schmalen Bett, das nie für eine Prinzessin gedacht
gewesen war. Der Körper, der immer noch darauf schlief, war bedeckt mit
Rosenblättern. Der Fluch der Fee hatte ihn in all den Jahren nicht altern
lassen, aber die Haut war wie Pergament und fast so vergilbt wie das Kleid, das
die Prinzessin seit zwei Jahrhunderten trug. Die Perlen, mit denen es bestickt
war, schimmerten immer noch weiß, aber die Spitze, die es säumte, war
inzwischen ebenso braun wie die Blütenblätter, die die Seide bedeckten.
    Will stand
an dem einzigen Fenster, als wäre der Prinz doch noch gekommen. Jacobs Schritte
ließen ihn herumfahren. Der Stein färbte ihm nun auch die Stirn, und das Blau
seiner

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