Funke, Cornelia
gehen nicht fort. Wir gehören dem Ort,
der uns geboren hat. Du wusstest das ebenso gut wie sie.«
So schön.
Die Erinnerungen spannen ein Netz in die Dunkelheit, in dem sie sich beide
verfingen.
»Hilf ihm,
Miranda. Bitte!«
Sie hob
die Hand und fuhr ihm mit den Fingern über die Lippen.
»Küss
mich.«
Es war,
als küsste er die Nacht oder den Wind. Ihre Motten zerstachen ihm die Haut, und
was er verloren hatte, schmeckte wie Asche in seinem Mund. Als er sie losließ,
glaubte er in ihrem Blick für einen Moment sein eigenes Ende zu sehen.
Draußen
bellte eine Füchsin. Fuchs behauptete immer, dass sie spürte, wenn er in Gefahr
war.
Miranda
wandte ihm den Rücken zu.
»Es gibt
nur ein Mittel gegen diesen Fluch.«
»Was ist
es?«
»Du musst
meine Schwester vernichten.« Jacobs Herz setzte aus, nur für einen Schlag, aber
er spürte die eigene Furcht wie Schweiß auf der Haut. Die Dunkle Fee.
»Sie verwandelt ihre Feinde in den Wein, den sie trinkt, oder in das
Eisen, aus dem ihr Liehhaber Brücken baut.«
Selbst
Chanutes Stimme klang heiser vor Angst, wenn er über sie sprach.
»Man kann
sie nicht töten«, sagte er. »Ebenso wenig wie dich.«
»Für eine
Fee gibt es schlimmere Dinge als den Tod.« Für einen Moment glich ihre
Schönheit einer giftigen Blüte. »Wie viel Zeit bleibt deinem Bruder noch?«
»Zwei,
vielleicht drei Tage.«
Stimmen
drangen durch die Dunkelheit. Die anderen Feen. Jacob hatte nie herausgefunden,
wie viele von ihnen es gab.
Miranda
blickte auf das Bett, als erinnerte sie sich an die Zeit, in der sie es geteilt
hatten. »Meine Schwester ist bei ihrem Geliebten, in der Hauptfestung der
Goyl.«
Bis
dorthin war es ein Ritt von mehr als sechs Tagen.
Das würde
zu spät sein. Viel zu spät.
Jacob war
nicht sicher, was er stärker empfand: Verzweiflung oder Erleichterung.
Miranda
streckte die Hand aus. Eine ihrer Motten ließ sich darauf nieder.
»Du kannst
immer noch rechtzeitig dort sein.« Die Motte spreizte die Flügel. »Wenn ich
Zeit für dich gewinne.« Fuchs begann erneut zu bellen.
»Eine von
uns hat einmal eine Prinzessin verflucht, an ihrem fünfzehnten Geburtstag zu
sterben. Aber wir haben den Fluch aufgehalten. Durch einen tiefen Schlaf.«
Jacob sah
das stille Schloss vor sich, eingehüllt in Dornen, und die reglose Gestalt in
der Turmkammer.
»Sie ist
trotzdem gestorben«, sagte er, »weil niemand sie geweckt hat.«
Miranda
zuckte die Schultern. »Ich lasse deinen Bruder schlafen. Du musst dafür
sorgen, dass er geweckt wird. Aber erst, nachdem du die Macht meiner Schwester
gebrochen hast.«
Die Motte
auf ihrer Hand putzte sich die Flügel.
»Das
Mädchen, das bei euch ist: Sie gehört zu deinem Bruder, oder?«
Miranda
fuhr mit dem nackten Fuß über den Boden und das Mondlicht zeichnete Claras
Gesicht darauf.
»Ja«,
sagte Jacob - und fühlte etwas, das er nicht verstand.
»Liebt sie
ihn?«
»Ja. Ich
denke schon.«
»Gut. Denn
sonst wird er sich zu Tode schlafen.« Miranda wischte das Bild aus Mondlicht
fort. »Bist du meiner Schwester je begegnet?«
Jacob
schüttelte den Kopf. Er hatte unscharfe Fotos gesehen, ein gezeichnetes Porträt
in einer Zeitung - die dämonische Geliebte, die Feenhexe, die Stein in
Menschenfleisch wachsen ließ.
»Sie ist
die Schönste von uns.« Miranda strich ihm übers Gesicht, als wollte sie sich
an die Liebe erinnern, die sie gefühlt hatte. »Sieh sie nicht zu lange an«,
sagte sie leise. »Und was immer sie verspricht - du musst genau das tun, was
ich dir sage, oder dein Bruder ist verloren.«
Fuchs'
Bellen drang wieder durch die Nacht. Es geht mir
gut, Fuchs, dachte Jacob. Alles wird gut. Auch wenn er noch nicht verstand, wie.
Er griff
nach Mirandas Hand. Sechs Finger, weißer als die Blüten draußen auf dem See.
Sie ließ zu, dass er sie noch einmal küsste.
»Was, wenn
ich als Preis für meine Hilfe verlange, dass du zurückkommst?«, flüsterte sie.
»Würdest du es tun?«
»Verlangst
du es?«, fragte er. Auch wenn er die Antwort fürchtete.
Sie
lächelte.
»Nein«,
sagte sie. »Mein Preis wird bezahlt, wenn du meine Schwester zerstörst.«
27
SO WEIT FORT
Will hatte
den Blick noch nicht ein Mal von der Insel gewendet. Es tat Clara weh, die
Furcht auf seinem Gesicht zu sehen - Furcht vor sich selbst, vor dem, was Jacob
auf der Insel erfahren würde, aber vor allem davor, dass sein Bruder nicht
zurückkommen und er allein bleiben würde mit der Haut aus Stein.
Er hatte
sie vergessen. Aber
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