Funke, Cornelia
immer er herkam, fand mit Sicherheit ein Gemälde, das seine Heimat im
Krieg mit dem Kaiserreich zeigte. Und natürlich gehörte er immer zu den
Verlierern. Nur die Goyl waren die Treppen hinaufgestiegen, ohne ihre Vorfahren
auf einem gemalten Schlachtfeld untergehen zu sehen, denn seit sie sich
Schlachten mit den Menschen lieferten, waren ohne Ausnahme sie die Sieger
gewesen.
Die beiden
Wachen, die Jacob auf der Treppe entgegenkamen, hielten ihn nicht an, obwohl er
bewaffnet war, und der Diener, der ihnen nachhuschte, nickte ihm ehrerbietig
zu. Jeder im Nordflügel kannte Jacob Reckless, denn Therese von Austrien ließ
ihn gern rufen, damit er wichtige Gäste durch ihre Wunderkammern führte und
ihnen wahre und unwahre Geschichten über die dort ausgestellten Schätze
erzählte.
Die Goyl
waren im zweiten und prächtigsten Stock untergebracht. Jacob sah ihre Posten,
sobald er in den ersten Korridor spähte. Sie blickten zu ihm herüber, aber
Jacob tat, als bemerkte er sie nicht, und wandte sich nach links, wo gleich
neben der Treppe ein Saal lag, in dem die Kaiserin ihr Interesse am Rest der
Welt demonstrierte, indem sie die Reiseandenken ihrer Familie ausstellte.
Der Saal
war leer, wie Jacob gehofft hatte. Die Goyl waren nicht an der Trollfellkappe
interessiert, die der Urgroßvater der Kaiserin aus Jetland heimgebracht hatte,
oder an Leprechaunstiefeln aus Albion, und was immer in den Büchern, die die
Wände säumten, über ihresgleichen stand, war sicher nicht schmeichelhaft.
Der
Nordflügel war weit entfernt von den Gemächern, in denen die Kaiserin
residierte, was ihren Gästen die Illusion gab, unbeobachtet zu sein. Aber
hinter den Wänden gab es ein Netz von Geheimgängen, mit dem sich jedes Zimmer
beobachten und in einigen Fällen sogar betreten ließ. Jacob hatte der Tochter
eines Botschafters auf die Art ein paar nächtliche Besuche abgestattet. Man
betrat die Gänge durch getarnte Türen und eine davon verbarg sich hinter einem
kaiserlichen Reiseandenken aus Lothringen. Der Vorhang war bestickt mit Perlen,
wie man sie im Magen von Däumlingen fand, und die Tür, die der schwere Stoff
verbarg, sah aus wie ein Teil der Holztäfelung.
Jacob
stolperte über den Kadaver einer Ratte, als er den dunklen Gang dahinter
betrat. Die Kaiserin ließ sie regelmäßig vergiften, aber die Nager liebten
ihre Geheimgänge. In die Wände waren alle drei Meter Gucklöcher von der Größe
eines Daumennagels eingelassen, die auf der anderen Seite durch Stuckornamente
oder falsche Spiegel getarnt waren. Im ersten Raum, in den Jacob blickte,
staubte ein Kammermädchen die Möbel ab. Im zweiten und dritten hatten die Goyl
provisorische Büros eingerichtet, und Jacob hielt unwillkürlich den Atem an,
als er Hentzau hinter einem der Tische sitzen sah. Aber er war nicht seinetwegen
gekommen.
Es war
stickig in den dunklen Gängen und die Enge ließ das Herz schneller schlagen.
Das Singen einer Zofe drang durch die dünnen Wände und das Klirren von
Geschirr, aber Jacob schaltete hastig die Taschenlampe aus, als er plötzlich
direkt vor sich ein Husten hörte. Natürlich. Therese von Austrien ließ all ihre
Gäste belauschen. Warum sollte es bei ihrem größten Feind anders sein, auch
wenn sie ihm ihre Tochter zur Frau gab?
Eine
Gaslampe leuchtete vor ihm auf. Sie beschien einen Mann, der so blass war, als
verbrächte er sein ganzes Leben in den lichtlosen Gängen. Jacob verbarg sich
mit angehaltenem Atem in der Dunkelheit, bis der kaiserliche Spion an ihm
vorbeigeschlurft und durch die getarnte Tür verschwunden war. Falls er ging, um
Ablösung zu holen, blieb nicht viel Zeit.
Der Spion
hatte den Raum beobachtet, nach dem Jacob gesucht hatte. Er erkannte die
Stimme der Dunklen Fee, bevor er sie durch das winzige Loch sah. Nur ein paar
Kerzen beleuchteten das Zimmer dahinter. Die Vorhänge waren zugezogen, aber
das Sonnenlicht sickerte unter dem blassgoldenen Brokat hervor, und sie stand
vor einem der verhängten Fenster, als wollte sie ihren Geliebten vor dem Licht
beschützen. Ihre Haut leuchtete selbst in dem abgedunkelten Raum wie
fleischgewordenes Mondlicht. Sieh sie nicht
an, Jacob.
Der König
der Goyl stand an der Tür. Feuer im Dunkeln. Jacob glaubte, seine Ungeduld
selbst hinter der Wand zu spüren.
»Du
verlangst, dass ich an ein Märchen glaube.« Jedes Wort füllte den Raum. Seine
Stimme verriet seine Stärke - und die Fähigkeit, sie in Zaum zu halten. »Ich
gebe zu, es amüsiert mich, dass all die es tun, die
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