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Funkensommer

Funkensommer

Titel: Funkensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Holzinger
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doch nur mein Bruder. Ich finde es total bescheuert, dass ich anfange, vor ihm Angst zu haben.
    Das ist doch verrückt! Beherzt greife ich zur Klinke und mache die Tür auf. Der Gang vor mir ist dunkel … und leer! Hä? Wo ist Raphael denn hin? Ich habe seine Schritte doch deutlich gehört. Ob er schon in seinem Zimmer verschwunden ist? Leise schleiche ich den Gang entlang, da sehe ich etwas in der Ecke lehnen. Einen Schatten. Mein Herz setzt aus … ich will losschreien, da fängt der Schatten zu torkeln an. Dabei streift ihn ein Mondstrahl. Raphael. Sein Gesicht sieht schrecklich aus – nicht wegen der Schwellung. Die ist schon wieder fast abgeklungen. Aber der Ausdruck in seinen Augen, als er im Mondschein auf mich zukommt, lässt mich zurückweichen. Ich kenne diesen Blick. Den hat Raphael in der letzten Zeit häufiger gehabt. Und immer ist er dann unberechenbar gewesen. Reflexartig klatsche ich mit der Hand auf den Lichtschalter.
    »Ah, das blendet! Dreh das Licht ab«, knurrt er. Seine Augen stieren mich an. Er wankt.
    »Du bist ja total betrunken«, murmle ich angewidert. »Wo warst du?«
    Raphaels Mund verzieht sich zu einem grässlichen Grinsen. »Na, in der Arbeit! Dafür bin ich ja gut genug …« Er kommt einen Schritt auf mich zu.
    Schnell drehe ich den Kopf weg, weil mir seine Fahne ins Gesicht schlägt. Das lässt mich unvorsichtig werden, denn daraufhin mache ich einen dummen Fehler. »So ein Blödsinn!«, zische ich. »Ich weiß doch, dass du dir den Nachmittag freigenommen hast. Aber wofür? Um zu saufen? Das ist ja so was von …«
    Weiter komme ich nicht, denn schon ist Raphael auf mich zugesprungen und hat mich am Handgelenk gepackt. Mit unheimlich kalten Augen stiert er mich an. Durchbohrt das letzte Fünkchen Vertrautheit, das uns noch übrig geblieben ist, und knurrt: »Erstens geht dich das einen feuchten Dreck an. Und zweitens warum weißt du das? Sag schon!« Er drückt zu.
    »Au! Du tust mir weh!«, jammere ich, aber Raphael lässt das kalt. Seine schrecklichen Augen spießen mich auf und lassen mich zappeln, während sie auf eine Antwort warten. Panisch fange ich zu plappern an: »Das war ja wohl klar … ansonsten wärst du jetzt nicht betrunken, oder?«
    Raphael lässt meinen Arm wieder los und stiert mich misstrauisch an. »Was ich mache, geht dich nichts an. Hörst du? Das geht niemanden etwas an. Ich bin ohnehin für nichts zu gebrauchen … also kann es dir auch egal sein!«
    »Das stimmt doch gar nicht«, widerspreche ich ihm.
    »Ach nein?« Raphael beginnt zu lachen. »Sag schon – wie habe ich heute bei der Ernte geholfen. Mhm? Indem ich eine Fratze wie ein Alien bekommen habe, als ich eine Sekunde lang auf dem Traktor gesessen bin?«
    »Sei froh, dass du nicht mitzuhelfen brauchst!«, murmle ich.
    Doch Raphael schnaubt. »Du hast ja keine Ahnung, wie das ist!«
    »Da hast du recht«, gebe ich leise zu. »Es tut mir leid!«
    »Was tut dir leid? Dass du einen Spasti zum Bruder hast?«
    Hastig schüttle ich den Kopf. »Das ist doch Blödsinn! Du weißt selber, dass die Allergie wieder weggehen kann. Du musst es nur wollen. Vor allem aber müsstest du etwas dafür tun. Denn vom Saufen wird es bestimmt nicht besser …«
    Wieder durchbohren mich diese kalten, fremden Augen. »Was weißt du schon …« sagt er und wankt schließlich davon.
    Als ich die Tür hinter mir schließe, merke ich, dass ich wie verrückt zittere. Was ist nur geschehen? Mein Bruder ist doch schon oft betrunken nach Hause gekommen. Aber nur manchmal ist er richtig ausgerastet. Wie gerade eben. Kein Wunder, dass er mir Angst macht. Gedankenversunken reibe ich mein schmerzendes Handgelenk. Es sind diese kalten Augen, vor denen ich mich so fürchte. Wenn er die hat, dann ist er nicht mein Bruder. Dann ist er unberechenbar …
     
    Der nächste Tag gestaltet sich ähnlich arbeitsreich. Weil noch mehr Regengüsse erwartet werden, müssen die Stoppelfelder bearbeitet werden, da sonst die Böden aufweichen und dann der Traktor nicht mehr aufs Feld fahren kann. Papa besteht darauf, dass ich diese Arbeit übernehme.
    »Dann lernst du endlich mit dem Traktor umzugehen«, sagt er zu mir am Frühstückstisch. »Und wenn du damit fertig bist, zeige ich dir, wie man die Gülle auf die Felder bringt!«
    Na, super! Hoffentlich dauert das nicht ewig, denke ich mir. Immerhin bin ich am Abend mit Finn verabredet. Doch wie es der Zufall will, bricht am Nachmittag ein Zinken am Mulcher, und Papa braucht eine halbe Ewigkeit, um

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