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Funkensommer

Funkensommer

Titel: Funkensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Holzinger
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»Lass das! Du weißt doch ganz genau, dass du das nicht sollst!«
    Doch Raphael reagiert nicht. Wild entschlossen rennt er den staubigen Feldweg hinunter. Dort angekommen springt er auf den Traktorsitz und lässt den Motor aufheulen. Mit einem Satz prescht das Gefährt nach vorne, ohne nur ein Stück abwärts zu rutschen. Souverän lenkt er die Fuhre Richtung Straße aufwärts. Als er neben mir zum Stehen kommt, lässt er den Motor laufen und springt vom Traktor.
    Plötzlich hat er es eilig, ins Auto zu kommen. Wortlos rennt er an mir vorüber, ohne mich dabei anzumachen. Eigenartig! Warum hat er auf einmal keine blöde Meldung mehr für mich übrig? Doch dann kapiere ich, was los ist.
    Ein flüchtiger Blick in sein Gesicht. Das genügt. Gerade noch sehe ich, wie Raphaels Gesicht anschwillt und seine Augen zu tränen anfangen. Dann heult auch schon der Audi auf und mein Bruder rauscht ab. Eine kleine Staubwolke baut sich vor mir auf. Genauso wie die blanke Angst, die sich schlagartig in meinen Knochen breitmacht und mich innerlich steif werden lässt. Doch das Man-muss-einfachmachen-Gen ist schließlich stärker und bringt mich dazu, auf den Traktor zu klettern.
     
    Ich habe die Weizenfuhre beim Getreidesilo schon fast abgeladen, da kommt Mama aus dem Haus. In ihren Händen trägt sie eine Flasche Saft und eine Box mit belegten Broten für Hans zum Mittagessen, in ihrem Gesicht hingegen trägt sie unheimlich schlechte Laune. »Was war denn da eben los?«, fragt sie prompt.
    Papa schaut hinter dem Kipper hervor. »Ist was?«
    Mama funkelt mich böse an. »Das würde ich auch gerne wissen. Raphael sitzt in der Küche. Sein Gesicht ist völlig angeschwollen. Wie ist das passiert? Sag schon!«
    Unruhig wetze ich auf dem Traktorsitz hin und her. »Geht es ihm gut?«, frage ich klamm. Nur mühsam kann ich jene Bilder von damals unterdrücken, die sich für immer in meinem Kopf eingebrannt haben. Raphael auf dem Stroh … sein Mund …
    »Kommt darauf an, wie schnell die Schwellung weggeht«, unterbricht Mama meine Gedanken. »Er müsste ja nach der Mittagspause wieder zur Arbeit. Aber mit so einem Gesicht ist das unmöglich! Also, was war los?«
    Ich seufze. »Mir ist der Motor am Berg abgestorben und Raphael hat mir geholfen. Er ist mit dem Traktor gefahren«, gebe ich leise zu.
    Papa und Mama wechseln einen schnellen Blick. »Was hast du dir dabei gedacht? Weißt du denn nicht, wie gefährlich das ist? Er könnte einen Allergieschock bekommen oder wieder einen Anfall«, schimpft Mama wild drauflos.
    »Weiß ich doch«, rufe ich dazwischen. »Aber er hat sich nicht abbringen lassen.«
    Papa schüttelt den Kopf. »Dass man von ein bisschen Traktorfahren gleich allergisch reagiert, das verstehe ich nicht«, knurrt er bitter. »Früher ist der Bub doch überall dabei gewesen. Ist mit jeder Fuhre gefahren, ohne mit der Wimper zu zucken – und nun soll ihm das Gesicht anschwellen, nur weil er kurz auf dem Traktor gesessen hat? Bei dir ist das doch auch nicht so, Hannah. Und wir haben das auch nicht. Niemand aus der Familie hat das. Warum er? Da hat der Kalender recht: Tage sind wie Geschwister, aber sehen ist einer dem anderen gleich. « Er schüttelt immer noch den Kopf. »Warum musste das nur so kommen …« Seufzend verschwindet er hinter dem Kipper. Schließlich klopft er gegen die Bordwand und ruft: »Er ist leer. Kannst losfahren. Aber dieses Mal mit mehr Gas, hörst du?«
    »Ja«, murmle ich erleichtert, nehme das Essenspaket für Hans entgegen und mache, dass ich vom Hof komme. Im Rückspiegel sehe ich noch, wie Mama wild auf Papa einredet und dabei mit den Armen gestikuliert. Dann biege ich um die Ecke, und das Bild verblasst zum Glück.

Arbeiten, arbeiten
    Nachdem der Weizen abgedroschen ist, jagt mich Papa zum Strohwenden aufs Feld. Vorher aber habe ich noch Zeit, um schnell etwas zu essen und zu trinken. Mit einem mulmigen Gefühl betrete ich das Haus. Ist Raphael da? Nein, in der Küche ist er nicht. Auch nicht im Wohnzimmer. Vielleicht oben? Leise schleiche ich die Treppe hinauf und lausche an seiner Zimmertür. Nichts. Ob ich nachschauen soll? Immerhin ist er mein Bruder! Auch wenn er ein Gefühlsarschloch ist, will ich nicht, dass es ihm schlecht geht. Also greife ich nach der Klinke, drücke sie ganz langsam hinunter und öffne die Tür einen Spalt.
    Als sich meine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt haben, merke ich, dass das Zimmer leer ist. So ein Glück! Dann wird die Schwellung doch rasch

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