Funkensommer
mich aus der Vergangenheit. Schnell schließe ich die Tür hinter mir und laufe runter in die Küche. Zum Essen bleibt jetzt keine Zeit mehr. Ich packe mir einen Apfel und eine Flasche Mineralwasser ein und stürze hinaus in die Julihitze, die sich wie eine Wand vor mir aufbaut.
Am Abend spüre ich meine Hände kaum noch, als ich mich in Richtung Zimmer schleppe.
Was für ein Tag! Zuerst das Malheur mit dem Monsteranhänger. Dann stundenlanges Strohwenden auf dem Feld, damit es in der Juliglut dörren konnte. Gefolgt vom monotonen Aufreihen des Strohs zu einer endlos langen Reihe, die später von der Rundballenpresse aufgegabelt wurde. Und das war noch lange nicht alles. Die Strohrundballen mussten schließlich auch noch ins Trockene gebracht werden. Als Papa anfing, sie mit dem Frontlader vom Feld zu holen, war in der Ferne erstes Donnergrollen zu hören, das mit jeder Minute anschwoll. Mama und ich hatten alle Hände voll zu tun, die Rundballen im Heuboden von der Luke weg und in eine Reihe zu rollen, so schnell fuhr Papa hin und her. Bei den letzten drei Ballen kam Wind auf. Wenig später krachte es über unseren Köpfen und der Regen stürzte auf uns nieder. Blitze folgten. Der Strom fiel aus und ich musste meinen Eltern ewig lange bei der Stallarbeit helfen, weil keine automatische Fütterungsanlage der Welt ohne Strom funktioniert.
Und deshalb fühlen sich meine Hände jetzt so an, als wären sie Schaufeln, oder so. Ich bin völlig fertig. K. o. Abgekämpft. Ich schaffe es gerade noch, mich unter die Dusche zu quälen. Meine Arme sind von den Strohhalmen zerkratzt. Meine Beine auch. Ich sehe aus wie Streuselkuchen. Zu allem Überdruss habe ich mir auch einen ordentlichen Sonnenbrand eingefangen. Na super, in drei Tagen wird mein Gesicht voller Sommersprossen sein.
Als ich aus der Dusche steige, weht eine angenehm kühle Brise zum Fenster herein und kühlt meine sonnenverbrannten Wangen. Müde schlüpfe ich in T-Shirt und Shorts und fläze mich aufs Bett. Ich krame das Handy aus der Nachttischlade. Zwei Anrufe in Abwesenheit, lese ich. Jelly hat angerufen. Und Finn. Wie schön. Mein Herz schlägt schneller, als ich auf Grün drücke, um zurückzurufen.
»Ich bin es«, sage ich, als ich seine Stimme höre.
»Hey«, raunt er. »Schön, dass du zurückrufst. Ich wollte dich fragen, ob wir uns heute wieder treffen können? Es ist zwar schon spät, aber …«, er macht eine kurze Pause, »ich würde dich trotzdem sehr gerne sehen.«
»Oh, dass wäre wirklich schön! Aber ich bin völlig kaputt. Wir haben heute den Weizen geerntet. Wir sind eben erst damit fertig geworden.«
»Ach so«, sagt Finn. »Das hätte ich mir eigentlich denken können. Dein Bruder hat sich ja auch den Nachmittag freigenommen.«
»Was?«, platzt es aus mir heraus, ehe ich darüber nachdenken kann.
Finns Stimme bekommt einen stutzigen Unterton. »Klar, hat mir jedenfalls mein Vater gesagt. Geht es denn Raphael mit der Allergie jetzt besser? Ich dachte, er kann am Hof nicht arbeiten. Hast du jedenfalls erzählt, oder?«
»Mhm«, mache ich, weil ich nicht weiß, was ich antworten soll. Raphael ist also nach der Mittagspause nicht zur Arbeit zurück. Ob es ihm doch schlechter geht als angenommen? Nur … wenn er nicht in der Arbeit war und nicht zu Hause, wo war er dann? Wo ist er jetzt? Daheim ist er nämlich nicht.
»Hannah, bist du noch da?« Finn räuspert sich.
»Ja«, sage ich schnell, »klar, bin ich da.«
»Und? Wenn wir uns heute nicht mehr sehen können, wollen wir uns dann etwas für morgen ausmachen? Vielleicht Kino oder so. Wenn du magst. Immerhin ist Wochenende, da fährt der Bus in die Stadt.«
»Sehr gern«, antworte ich hastig. Hauptsache, er hakt wegen Raphael nicht weiter nach.
»Gut, dann melde ich mich morgen bei dir. In Ordnung?«
»Total in Ordnung«, sage ich erleichtert und wünsche Finn eine Gute Nacht.
Nachdem ich aufgelegt habe, will ich Jelly anrufen, um ihr zu sagen, dass wir morgen ins Kino wollen, doch da höre ich, wie jemand die Treppe hochkommt. Nach den schlurfenden Schritten zu urteilen sind das nicht meine Eltern. Außerdem liegen die bestimmt längst im Bett, weil sie nach dem Tag genauso erledigt sind wie ich. Also muss es … Raphael sein. Ich lausche. Die Schritte kommen näher. Sie schlurfen ziemlich. Oje – geht es meinem Bruder wirklich so schlecht? Ich sollte nachschauen. Mein Herz klopft schnell, als ich zur Tür tappe. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Mist! Es ist
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