Funkensommer
Erinnerung.
Jetzt nur noch weg. »Lauf«, brülle ich. »Lauf!«
Und Lanzelot, mein treuer Freund, legt los.
»Kommt im August der erste Regen, beginnt sich die Hitze meist zu legen« ,meint Papa, als ich mit Lanzelot am Hof ankomme. »Es hat ordentlich abgekühlt. Du solltest ihn trocken reiben.«
»Ich weiß«, antworte ich und schwinge mich aus dem Sattel. Lanzelots Fell dampft stark.
»Bei so einem Wetter ausreiten. Also wirklich. Du kommst auf Ideen!« Er hält Lanzelot am Zügel fest, damit ich den Sattel abnehmen kann. »Du hättest dir den Hals brechen können. Der Waldboden ist rutschig derzeit.«
Ich zucke mit den Schultern. »Lanzelot weiß schon, wohin er steigen muss.«
»Ja?«, sagt Papa. »Weiß er das?«
Ich führe Lanzelot in die Box und beginne sein Fell mit Stroh abzurubbeln. Papa folgt mir, bleibt aber dann unschlüssig in der Tür stehen. »Und? Weißt du das auch?«, sagt er leise.
»Was?«, frage ich.
Papa holt Luft. »Weißt du auch, wohin du treten musst, damit du nicht ausrutschst?« Als ich nicht darauf antworte, hängt er dran: »Ich sehe doch, dass derzeit irgendetwas mit dir los ist!«
»Alles in Ordnung«, murmle ich schnell.
»Nicht, dass du so wirst wie Jellena«, meint Papa.
Ich halte inne. »Was meinst du damit? Was ist mit ihr?«
Papa kratzt sich am Kopf. »Na hör mal. Sie ist deine Freundin. Deshalb wirst du das sicher am besten wissen, was sie hat! Aber eigentlich kann das arme Ding ja nichts dafür … bei so einem Vater!«
Ich schaue Papa verblüfft an. »Was hat das denn mit Jellys Vater zu tun?! Der ist doch abgehauen, als sie noch klein war.«
»Freilich«, brummt Papa und räuspert sich. »Und jetzt geh hinein und zieh dich schleunigst um. Sonst wirst du auch noch krank!«
»Aber …«, wende ich ein.
»Nichts aber. Du bist klatschnass!«
»Und Lanzelot?«
Papa lächelt müde. »Lass nur. Den reibe ich für dich fertig trocken. Ich habe eh noch im Stall zu tun.«
»Danke«, sage ich überrascht und stiefele gehorsam Richtung Hoftür. Kurz aber werfe ich noch einen Blick zurück und wundere mich.
Der Ausritt hat mir gut getan. Am Abend fühle ich mich schon ein bisschen besser. Flüchtig überlege ich, ob ich die Mailbox abhören soll. Papas Bemerkung über Jelly hat mich stutzig gemacht. Was wohl mit ihr los ist? Ob sie krank geworden ist?
Doch dann bin ich zu feige und lege das Handy wieder beiseite. Ich habe einfach keine Lust darauf, mich mit Jelly auseinanderzusetzen. Außerdem fürchte ich mich vor Finns Stimme auf der Mobilbox. Die brauche ich jetzt wirklich nicht.
Lieber höre ich noch ein bisschen Musik.
Der Regen hat endlich nachgelassen. Der Wind aber bläst immer noch und lässt meine Himmelbettvorhänge im Zimmer tanzen. Gedankenverloren sehe ich ihnen zu, als es an meiner Zimmertür klopft.
»Ja?«
Mein Bruder steckt den Kopf zur Tür herein. »Kann ich reinkommen?«
Ich nicke.
Raphael schließt die Tür hinter sich und sieht sich verlegen um. »Ähm, kann ich mich kurz setzen?«
Nur widerwillig rapple ich mich vom Zierpolsterberg hoch, um ihm etwas Platz zu machen. Zu viel ist passiert. Auch wenn wir uns in der Zwischenzeit darum bemühen, freundlich miteinander umzugehen. So wie früher wird es zwischen meinem Bruder und mir wohl nie wieder werden.
Überhaupt finde ich, dass er es sich zu einfach macht. Das ist mir vorhin während des Ausritts klar geworden. Der Deal, den er mir vorgeschlagen hat, ist bescheuert!
Auch wenn ich Finn ohnehin nie wieder sehen will, sollte Raphael mit den Drogen doch nicht meinetwegen aufhören. Sondern seinetwegen. Aber das scheint er nicht begriffen zu haben.
Als ob er meine Gedanken erraten hätte, sagt er plötzlich: »Vielleicht solltest du doch mit Finn reden.« Er sitzt auf der Bettkante. Seine Beine wippen nervös. Von der Seite her wirft er mir einen vorsichtigen Blick zu.
»Wie bitte?«, rufe ich.
»Du hast schon richtig gehört«, murrt er.
»Ich denke gar nicht daran, diesen Mistkerl noch einmal zu treffen!«
Raphael brummt. »Ich dachte, du magst ihn …«
»Was soll das denn jetzt?« Ich springe vom Bett hoch. »Du bist doch von Anfang an dagegen gewesen. Und jetzt willst du, dass ich mich wieder mit ihm treffe?«
Raphael verzieht den Mund. »Ich hab doch nicht gesagt, dass du dich wieder mit ihm treffen sollst. Das will ich ja auch gar nicht – du weißt, was wir abgemacht haben!« Er sieht mich dabei nicht an. »Aber du solltest ihm erklären, warum du nichts mehr
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