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Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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schlecht aus«, begrüßt Lisa-Maria W. sie zu Beginn eines Drehtages. Charmant ist das nicht, die Kollegin bleibt, gelinde formuliert, für den Rest des Tages irritiert auf diesem Satz sitzen. Was uns ebenfalls befremdet, ist der Umstand, dass der Sohn von Lisa-Maria W.s Tochter Christine – sie hat drei Kinder – bei seiner Oma lebt, obwohl Christine das gar nicht wollte. Christines Brüder sind Christian und Michael. Michael ist der Abbrecher. Christian erklärt mir eines Abends, dass er zurzeit mit Michael zusammen wohne. Michael sei aber selten in Kiel, und seine, Christians, Lebensverhältnisse seien etwas unkonventionell, so dass es ihm ganz recht sei, mit Michael zusammenzuwohnen. Sie verstünden sich leidlich, über die Mutter dürfe man allerdings auf gar keinen Fall reden. »Dann springt er auf und rennt weg. Wenn ich Pech habe, schmeißt er mich vorher noch raus«, meint Christian in der ihm eigenen direkten Art, die er sicherlich von seiner Mutter hat. Ich finde es erstaunlich, dass Michael nach so vielen Jahren der Funkstille noch so emotional reagiert. »Sein Verhalten ist ein Zeichen dafür, dass es ein so brisantes Thema ist, dass er hinter den Versuchen, mit ihm zu reden, nicht spürt: Die wollen mir auch helfen, sondern immer nur argwöhnt: Die wollen, dass ich wieder zur Mutter zurückkehre, um das mit ihr zu klären, oder sie wollen mich ausfragen. Es ist kein Zeichen großer Stärke. Michael könnte ja auch sitzen bleiben und sagen, ich will darüber nicht mit euch diskutieren. Das ist das Problem: Der sitzt nicht seelenruhig da, weil es ihn nicht interessiert, sondern es kocht in ihm, das ist überhaupt nicht cool«, findet Professor Udo Rauchfleisch.
    Christian ist wie seine Mutter. Wenn ihm etwas nicht passt, spricht er es an. Er ist seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, auch deshalb wundert es mich, dass Michael ihn bei sich aufgenommen hat. Was für ein Verhältnis hat also Christian zu seiner Mutter? Kann er ansatzweise verstehen, warum Michael den Kontakt zu ihr abgebrochen hat? Er liebe seine Mutter, auch wenn sie nicht gerade die einfühlsamste Mutter sei, antwortet Christian. Sie sei ihm als sehr strenge Mutter in Erinnerung: »Es war ja nicht so, dass man zu ihr kam und gesagt hat, dieses und jenes Problem habe ich. Es war immer alles sehr geregelt, d.h. Schule, dann Hausaufgaben, dann gab es Extraarbeiten, und dann konnte man spielen von 16 Uhr bis 19 Uhr, und dann gab es Abendessen. Autoritär ist meine Mutter und auch dominant – das stimmt schon«, gibt Christian zu, aber für ihn sei das »okay« gewesen, er habe sich, anders als Michael, nicht wie in einem Gefängnis gefühlt. Genervt hätten ihn eher die ständig wechselnden Pflegekinder. Wir drehen eine Szene: Lisa-Maria W. spielt »Mensch ärgere dich nicht« mit ihrer 30-jährigen Pflegetochter Marcia. »Mama« sagt Marcia zu ihrer Pflegemutter, und deren Verhalten beim Brettspiel verrät noch einmal, dass Lisa-Maria W. sehr bestimmend sein kann. Ja, das streite sie gar nicht ab, dass sie dominant sei, aber sie sei nun einmal so und habe es bei der Erziehung ihrer Kinder eben so gut gemacht, wie sie konnte, erklärt Lisa-Maria W. auf die Nachfrage, ob sie denn eine strenge Mutter gewesen sei. Im Übrigen ändere das nichts an ihren Gefühlen für Michael, sie liebe ihn noch heute, aber er brauche ihre Liebe offenbar nicht mehr, obwohl er ja eigentlich niemanden habe, nicht einmal eine Freundin. Und dann erzählt sie etwas, was uns dann doch etwas überrascht. »Also, das ist so«, beginnt sie geheimnisvoll, »er war ja zweimal verlobt. Kurz vor der Hochzeit hat er die Frauen jeweils verlassen. Später hat er zu seiner Schwester gesagt, dass er bei jeder Frau das Gesicht seiner Mutter vor sich sehen würde …« Ja, das habe er gesagt, legt Lisa-Maria W. noch einmal nach und scheint dabei fast ein bisschen stolz zu sein.
    Die Funkstille ist offenbar kein gutes Mittel, mit einem Menschen endgültig abzuschließen, denn ohne wirkliche Auseinandersetzung, ohne ein klärendes Gespräch, bleiben beide Parteien in belastender Weise miteinander verbunden.
    »Was habe ich falsch gemacht?«
    Für unsere Dokumentation haben wir eine Anzeige geschaltet, in der wir Menschen, die die Funkstille aus eigener Erfahrung kennen und darüber sprechen möchten, bitten, Kontakt mit uns aufzunehmen. Bei mir meldet sich Marina M., die Mutter eines 18-jährigen Sohnes. Sie komme seit über vier Jahren nicht mehr an ihren Sohn Rico heran

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