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Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Ordnung. Allerdings beanspruchte sie dieses Recht auch für sich. Sie hatte viele Bewunderer, und zu Beginn war Stephan sogar stolz darauf, dass er sie für sich gewonnen hatte, und deshalb waren ihm die anderen Männer anfangs ziemlich egal.
    Stephans Freunde fanden Marie »cool«, weil sie ihm alle Freiheiten ließ, seiner Mutter war gerade das nicht geheuer. Marie sei eben nicht wie andere Frauen, verteidigte er seine Freundin. Vielleicht lag ihr weniger an ihm als umgekehrt. Doch Stephan, der von seinen Eltern ein gesundes Selbstbewusstsein mitbekommen hatte, konnte sich das nicht vorstellen. Er ist ein erfolgreicher, gutaussehender Journalist, wieso sollte ihn eine Frau betrügen oder gar verlassen? »Ich war dennoch über ihr Verhalten verunsichert. Sie war manchmal stundenlang unterwegs, wollte mir aber nicht sagen, wo. Ich vermisste sie jede Sekunde, sie aber ging, je häufiger ich anrief, immer seltener ans Telefon. Ich wurde misstrauischer, ja auch wütender, fragte mich, warum sie mich ärgern wollte. Ich wollte bei ihr sein«, erzählt er und lässt dabei ahnen, in welchen emotionalen Strudel er damals geraten war. Stephan war es bis dahin schlicht nicht gewohnt gewesen, dass er um jemanden kämpfen musste. Eigentlich hatte er es nie gelernt. Jeder – Eltern, Freunde, Kollegen – hätte für ihn alles getan. Marie aber legte offensichtlich keinen Wert auf seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Im Gegenteil: Er kämpfte um jemanden, der das gar nicht wollte, so scheint es jedenfalls. Genau das aber machte ihn wahnsinnig und brachte ihn immer mehr aus dem Gleichgewicht. Er überlegte sich Strategien, wie er seine Wut bezähmen und seine Lässigkeit zurückgewinnen könnte. Dabei verlor er seine Spontaneität.
    Marie ließ ihn abblitzen, je mehr er drängte. Stephan litt. Er, der sich nie eingestanden hatte, verletzlich zu sein und einen anderen Menschen wirklich zu brauchen, war nun »süchtig« nach einer Frau. Er brauchte Marie zu sehr. Von einer idealen Liebe, in der auch gelegentlich losgelassen werden kann, war keine Rede mehr. Doch nicht Marie hatte sich verändert, sondern er. Er fand nicht mehr den gesunden Abstand, den eine Beziehung braucht, seine Unsicherheit wuchs und damit ihre Abwehr. »Ich habe sie ständig angerufen, ja, um sie zu kontrollieren, aber auch, weil ich ständig Angst hatte, sie würde die Beziehung beenden.« Ich frage ihn, wie er darauf kam, dass Marie das hätte tun wollen. Stephan zögert, bevor er antwortete. Naja, sagt er schließlich, beide hätten am Anfang noch Witze darüber gemacht, dass es bisher immer sie gewesen wären, die Schluss gemacht hätten, und dass Marie es offenbar noch nie länger als ein Jahr mit jemandem ausgehalten hatte. Stephan hatte immerhin schon eine längere Beziehung gehabt, und noch heute verbindet ihn und seine ehemalige Freundin, die längst verheiratet ist, eine innige Freundschaft. Sie dagegen, Marie, habe bisher immer eine Spur der Verwüstung zurückgelassen.
    Marie, so vermuten Stephan und ich, spielt offenbar gern mit Männern. Vielleicht hasst sie sie in Wirklichkeit sogar. Sie lockt sie in die Abhängigkeit, zieht sie an, um sie dann umso heftiger wieder wegzustoßen. Vielleicht will sie die Männer für etwas bestrafen, das ihr oder ihrer Mutter widerfahren ist, überlegen wir, doch Stephan weiß so gut wie nichts über Maries Familie, lediglich, dass sie bei ihrer Mutter aufwuchs und dass diese nicht mehr lebt. Marie, so scheint es, steht allein im Leben, und offenbar möchte sie niemals von jemandem abhängig sein.
    Während unseres Gesprächs kommt mir in den Sinn, dass alles, was Stephan jetzt offenbart, völlig anders klingt als das, was er bei unserem ersten Treffen kurz nach Maries Weggang erzählt hatte. Damals traf ich auf einen völlig fassungslosen Verlassenen. Beide hatten am Abend vor der Trennung noch miteinander gefeiert, am nächsten Tag war Marie weg. Nun frage ich Stephan, wieso es ihn damals so erstaunt habe, dass sie verschwand. Hatte sich denn nicht zuvor schon abgezeichnet, dass die Beziehung seinem Drängen und ihrer Bindungsangst nicht standhalten konnte? Stephan lässt sich Zeit mit der Antwort: »Klar, aber es gab keinen großen Knall, keinen konkreten Streit, im Gegenteil, wir hatten gerade eine gute Phase, dachte ich zumindest. Auch sprachen wir mehr und offener miteinander als je zuvor. Sie hätte ein Wort sagen können. Darum geht es. Es ist verletzend und entwürdigend, unverzeihlich sowieso, wenn jemand so

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