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funny girl

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Titel: funny girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony McCarten
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erhoben sich von ihren Plätzen, auch Azime; sie war zwar immer noch wütend auf ihn, sehr wüted sogar, aber sein Talent konnte man nicht bestreiten, seine wortgewandte Wut darüber, dass die Welt nicht war, wie sie seiner Meinung nach sein sollte oder konnte, seine darin mitschwingende Vorstellung, dass wir unsere Hölle selbst erschaffen. Und jetzt hatte sie ja mehr mit Johnny gemeinsam als noch eine Woche zuvor, jetzt war auch sie wütend, wütend auf ihre Eltern, auf ihre Angreifer, auf Green Lanes, auf ihre Stadt, wütend auf sich selbst, dafür, dass sie zugelassen hatte, dass aus ihrem Leben eine solche Hölle geworden war. In der Verfassung, in der sie jetzt war, da waren es Stimmen wie die von Johnny, von denen sie lernen konnte.
    »Der Mann ist ein Genie«, flüsterte sie Deniz ins Ohr.
    »Ja, und er weiß es nicht mal.«
    Dann wurde Deniz aufgerufen.
    Warum rief Kirsten Deniz immer als Letzten auf?, fragte sich Azime. Deniz sprang auf die Bühne, so enthusiastisch wie ein Welpe auf Amphetaminen, wenn sein Herrchen nach Hause kommt. Sein Auftritt zum Thema Armut war nur ganz kurz.
    DENIZ : 1992 ließ die IRA in Omagh eine Bombe explodieren. Ich bin 1992 geboren. Und 1992 war auch das Jahr, in dem wir herausbekommen haben, dass Delphine eine eigene Sprache haben. Purer Zufall? Ich glaube kaum.
    (Schweigen, vereinzeltes Gekicher.)
    Deniz trat von der Bühne. Verblüffung. Verwirrung. Verärgerung. Das übliche Deniz-Trio.
    »Und nach diesem ausgesprochen denizmäßigen Finale«, sagte Kirsten kopfschüttelnd, »danke ich euch allen. Wir machen Schluss für heute.«
    Als die Kursteilnehmer dem Ausgang zustrebten, legte Kirsten Azime die Hand auf die Schulter und fragte, ob alles in Ordnung sei. Was nur bestätigte, dass auch Kirsten den Guardian las. Azime flüsterte: »Prima. Alles bestens!« Das war gelogen, und sie wussten es beide.
    »Was hast du jetzt vor?«
    Zeit für die Wahrheit: »Ich brauche Geld. Ich beantrage Sozialhilfe.«
    Am nächsten Morgen, auf dem Weg zur Sozialhilfestelle, blieb sie vor einem Fußgängerüberweg stehen und wartete auf das grüne Männchen. Auf der anderen Straßenseite schaute ein hochgewachsener Teenager in ihre Richtung. Sah er sie an? Sie vergewisserte sich. Ja, er hatte den Blick fest auf sie gerichtet. Sie versuchte ihn zu ignorieren, doch als sie erneut zu dem jungen Mann hinsah, kam er auf sie zu, überquerte bei Rot die Straße, kam geradewegs auf sie zu und ließ sie beim Näherkommen nicht aus den Augen. Er trug eine Kufi-Gebetskappe. War er einer von den Männern vor dem Comedy-Club? Sollte sie weglaufen? Ja, sie sollte weglaufen. Aber halt – die Straßen waren voller Menschen. Sie war sicher. Dann kam ihr wieder in den Sinn, wie die jungen Männer gerufen hatten: Du bist tot.
    »Azime?«
    »Ich kenne dich nicht.«
    Der hochgewachsene Teenager stand gerade mal einen halben Meter vor ihr, nahe genug, um sie verletzen zu können.
    »Doch. Doch, das tust du. Und ich kenne dich. Du erinnerst dich bloß nicht mehr. Ich hab dein Bild in der Zeitung gesehen. Du bist Azime.«
    Als sie nochmals beteuerte, dass sie ihn nicht kenne, sagte er, er sei der Bruder des toten Mädchens. »Ich habe dich auf der Beerdigung gesehen. Du warst ihre Freundin. Ihre beste Freundin. Damals, bei McDonald’s, da habe ich dich auch gesehen.«
    Jetzt wirkte er nicht mehr bedrohlich. Seine Augen waren traurig und schuldbewusst, auf der Oberlippe war ein Anflug von Schnurrbart zu erkennen, ein Junge, der sich bemühte, ein Mann zu sein. Sein Gesicht erinnerte Azime schmerzlich an das tote Mädchen, eine vage Erinnerung an den Tag, als die Nachricht sich wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, dass das Mädchen tot war.
    »Du bist ihr Bruder.«
    »Ich will dir etwas von ihr geben. Können wir uns treffen, damit ich es dir geben kann? Ich glaube, sie hätte gewollt, dass du es bekommst.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Hab keine Angst, Schwester. Sie schreibt über dich. Es war nicht so, wie du denkst. Wo kann ich dich treffen?«
    »Ich weiß nicht.« Aber sie dachte schon: Lass ihn zu einer ruhigen Stelle kommen. »Vielleicht in einem Park? Wo wir reden können?«
    »Nein, wir werden uns hier treffen. Wo viele Menschen sind. Hier kannst du dich sicher fühlen. Morgen? Wir treffen uns morgen genau hier. Okay? Genau an dieser Stelle. Um zwölf. Nein, früher wäre besser, sagen wir, zehn.«
    Was sollte sie tun? Azime nickte. »Okay.«
    Als sie zur Sozialhilfestelle kam, reihte sie sich in die Schlange

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