Furchtbar lieb
genauso, wie Krissie es getan hatte. Bald entdeckte er die erste Höhle, die sie beschrieben hatte. Ihren Anweisungen folgend, legte er weitere dreißig Meter zurück und fing an, nach der Felsspalte zu suchen.
Eine Stunde später suchte er immer noch verzweifelt. Es war 4 Uhr 25, und ihm lief die Zeit davon. Er würde mit einem Gang auskommen müssen, um Sarahs Leiche wegzuschleppen.
Der Schreck fuhr ihm in die Glieder, als er ein lautes Kratzen hörte. Muss ein Vogel gewesen sein, beschwichtigte er sich, nachdem er sich umgesehen und niemanden entdeckt hatte. Das Kratzen hielt an, und er sah keinen Vogel – und auch kein anderes Tier – irgendwo in der Nähe. Also folgte er dem Kratzgeräusch über den Boden, bis es so laut wurde, dass er glaubte, es müsse von der Stelle direkt unter ihm kommen. Er kniete sich hin und schabte etwas Erde weg, doch da hörte das Geräusch auf. Er schüttelte den Kopf. Er verlor wohl den Verstand. Er setzte sich auf und legte seinen Kopf zum Ausruhen an den Felsen, nur um die Augen schnell wieder zu öffnen, als das Geräusch erneut anfing. Er saß geschlagene drei Sekunden mit weit aufgerissenen Augen da, ehe er seinen Kopf langsam umdrehte. Schließlich zeigte seine Taschenlampe direkt auf den heidebedeckten und steingefüllten Felsspalt, den Krissie beschrieben hatte.
Das Kratzen wurde lauter, als er aufstand und an dem größten Stein zog, der ganz oben in der Öffnung feststeckte. Mit einem dumpfen Knall fiel er zu Boden.
Kyle starrte einen Moment lang in die Schwärze – das Geräusch war jetzt so laut, dass es im gesamten Tal ein Echo zu erzeugen schien. Sein Herzschlag war fast genauso laut wie das Kratzen, und als das Geräusch aufhörte, fühlte es sich an, als ob auch sein Herz zu schlagen aufgehört hätte. Kein Atmen, kein Geräusch, nichts als Dunkelheit und Stille.
Gerade als Kyle sich allmählich beruhigte, sprang ihn eine dunkle Gestalt aus dem Felsspalt an und katapultierte seinen Herzschlag in die Höhe.
»Scheiße!«, schrie er und fing an, etwas ruhiger zu atmen, als die Ratte ins Gestrüpp huschte. Eine dämliche Ratte!
Er wandte sich wieder dem schwarzen Loch zu, dem Zuhause der Ratte. Die Dunkelheit war furchteinflößend, und Kyle zitterte, als er mit seiner Taschenlampe vorrückte, um sich darin umzuschauen. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, bewegte er sich voran … jetzt war er fast schon da … fast …
Die Hand fiel heraus und schlug ihm ins Gesicht. Eine weiße, dünne, knochige Hand.
Kyle stieß einen absolut ungefilterten Entsetzensschrei aus, als er die leblose Hand zur Seite stieß. Aber nachdem er den Arm in den Felsspalt zurückgestoßen hatte, wurde ihm klar, dass diese Hand nicht leblos war.
Diese Hand war lebendig.
Kyle entfernte mit fast übermenschlicher Stärke die restlichen Steine vor dem Spalt. Als der letzte Stein zu Boden fiel, traf ihn der Gestank der Höhle, und er musste würgen. Er bedeckte Mund und Nase und spähte in den Spalt. Seine Frau öffnete ihre Augen und erwiderte seinen Blick. Sie war blass und blutig, und sie stank. Ihr Körper und ein Arm waren in das violette Zelt eingewickelt. Der andere Arm hing schlaff herab und wirkte seltsam losgelöst.
»Sarah, es ist gut. Ich bin gekommen, um dich zu holen. Alles ist in Ordnung«, sagte er, als er sie aus dem Felsspalt zog und sie, so schnell er nur konnte, aus ihrer Umhüllung befreite. Er würgte erneut, als ihr Geruch auf die frische Luft traf.
Er prüfte ihren Atem und ihren Puls, dann setzte er sie aufrecht hin und hielt sie fest und weinte.
»O Gottseidank, Sarah, du lebst. Sarah, meine Sarah. Gottseidank. Mein Schatz.«
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Kapitel neunundzwanzig
Sarah hatte dreiundzwanzig außerordentlich schmerzhafte Stunden hinter sich, aber letztlich war die therapeutische Wirkung beträchtlich gewesen.
Sie hatte viel über sich selbst und ihre Vergangenheit gelernt und einige sehr vernünftige Pläne für ihre Zukunft geschmiedet – falls sie eine hatte.
Etwa zwei Stunden nachdem Krissie sie zurückgelassen hatte, war sie zu Bewusstsein gekommen. Es war völlig dunkel gewesen, und sie hatte eine sehr normale Reaktion darauf gezeigt, verletzt, in ein Zelt gewickelt und blutbedeckt in einen Felsspalt geschoben und sterbend zurückgelassen worden zu sein: Nachdem der erste Schock abgeklungen war, weinte und zitterte sie und versuchte, zu schreien.
Sarah war selbst überrascht, wie lange sie ihre Hysterie aufrechterhalten konnte. Trotz aller Hindernisse –
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