Furchtbar lieb
Reaktionen der anderen. Wenn du tust, was jeder von dir verlangt, dann wachst du eines Morgens auf und bist tot.«
Sie unterhielten sich stundenlang an diesem Abend. Kyle war damals im Urlaub, und Krissie war mit irgendeinem Rüpel aus Aberdeen ausgegangen, und so hatten sie die Wohnung für sich allein. Anna erzählte ihm von den verrückten Sachen, die sie gemacht hatte, ehe sie sesshaft geworden war, und wie verdammt froh sie deshalb sei, denn so müsse sie jetzt nichts mehr bereuen und sich nichts mehr beweisen. Sie mochte alles an ihrem Leben und an sich selbst, abgesehen von ihrem faltigen Hals.
Chas unterhielt sich mit Anna über Malerei und wie glücklich er sich mit einem Pinsel in der Hand fühle. Seit er mit Medizin aufgehört hatte, hatte er drei Jobs gehabt, um für seine Reisen zu sparen, und er hatte jede freie Minute in seinem Zimmer mit Malen verbracht.
Als sich das Gespräch dem Thema Partnerschaft zuwandte, sagte Chas: »Du und Dave, ihr seid so glücklich und entspannt miteinander. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich gern fragen …« Chas zögerte.
»Du willst wissen, warum Krissie nicht so ist?«
Sie hatte recht, das war tatsächlich genau das, was er sie fragen wollte. Krissie war voller Energie, sie platzte fast vor Lebenslust. Wenn sie ein Zimmer betrat, erstrahlte alles. Sie war das Schmiermittel für eine öde Party, das Heilmittel für einen bedürftigen, deprimierten Freund. Aber wenn es um Beziehungen ging, war sie eine Katastrophe.
Anna sah ihn sehr ernst an. »Du liebst sie, Chas. Nicht wahr?«
Nach einer Pause erzählte Anna Chas eine Geschichte, die die nächsten zehn Jahre seines Lebens bestimmen würde, und die Krissies Leben bestimmt hatte, seit sie zehn Jahre alt war.
Chas war aufgebracht über das, was Anna ihm erzählte. Auf einmal passte alles zusammen.
»Mach keine Dummheiten!«, sagte Anna ihm. »Um Krissies willen.«
Er gelobte es ihr und sprach ihr nach, dass es nichts bringen würde, wenn er die Angelegenheit selbst in die Hand nähme.
»Alles, was sie braucht, ist Zeit«, sagte Anna. »Lass ihr einfach ein bisschen Zeit.«
Am nächsten Tag verließ Chas Glasgow und brach zu seiner nächsten großen Reise auf. Er arbeitete in Bars und machte Skizzen im Himalaya, er traf den Dalai Lama und ritt auf einem Kamel durch Rajasthan, er malte in Malaysia und Thailand, schrieb in Vietnam und malte in Bali und dann am Uluru.
In jeder seiner Skizzen, in jedem seiner Bilder kam sie vor – sie stand hinter einer Tür, lag auf einem Felsen, schwamm im Meer – immer war sie da, die Frau, der er Zeit ließ.
Dann kam er zurück. Ein Maler. Er stand der Welt furchtlos gegenüber, er wusste, wer er war und was er machen wollte, und er wollte das alles mit der Frau teilen, die er über alles liebte.
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Kapitel achtundzwanzig
Kyle verließ Glasgow gegen elf Uhr abends. Alles, was er an Ausrüstung brauchte, befand sich in seiner Notarzttasche, und er erreichte Glencoe in weniger als drei Stunden. Sein Plan bestand darin, im Hotel einen Kofferkuli zu stehlen, Sarahs zerstückelten Leichnam zu seinem Auto zu rollen und ihn in den Steinbruch zu werfen, an dem sie bei Inverarnan vorbeigekommen waren.
Als Kyle das Hotel erreichte, stand dessen Tür offen, und die Halle war menschenleer. Er schlich sich auf Zehenspitzen hinein und sah sich um, aber die Kofferkulis waren nirgendwo in Sicht. Als Nächstes suchte er im stahlglänzenden Küchenbereich, dann rannte er die Treppe ins erste Stockwerk hoch. Dort, neben dem Fahrstuhl, stand einer. Nachdem er ihn die Treppe hinabgezerrt und durch die Halle geschoben hatte, begann er, den Wanderweg damit entlangzugehen.
Der Kofferkuli war keine gute Idee gewesen. Kyle hatte nie ein Baby in einem Kinderwagen oder einen behinderten Menschen in einem Rollstuhl über Kopfsteinpflaster geschoben, sonst hätte er gewusst, dass Räder und holperige Wege nicht gut zusammenpassen. Der Kofferkuli blockierte und verdrehte sich an jeder Biegung, und nach fünfzig Metern ließ er ihn stehen. Er würde vielleicht zweimal gehen müssen, aber es war erst 2 Uhr 13, und so blieb ihm noch viel Zeit. Er ließ den Kofferkuli am Wegrand zurück und ging weiter. Seine Taschenlampe kitzelte den Weg mit schwachen Lichtbällen.
Kyle folgte Krissies Angaben und verließ den Pfad auf halbem Weg. Daraufhin erkletterte er den Berggipfel und blieb erst stehen, als es nicht mehr weiterging.
Er sah die Abbruchkante zu seiner Rechten und kletterte hinab,
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