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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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erneut klingelte.
    Während der nächsten Stunden klingelte das Telefon zehn Mal. Sarah wurde sehr vertraut mit den verschiedenen Stadien der Trauer, und sie gab sich ihnen voll und ganz hin, während das Lied durch ihre Brust strömte und den Felsspalt füllte. Sie kreischte entsetzt, wand sich und kämpfte, schrie und heulte, fühlte einen Brechreiz in der Magengrube und hörte dann so ruhig zu, wie sie es vermochte, während das Lied an immer derselben Stelle beim zweiten Durchlauf abbrach …
    Dort, wo die Berge schlafen,
    Fühl jetzt dein Blut erwachen,
    Wenn dich –
    Es war fast eine Erleichterung, als die Anrufe aufhörten und sie sich ausruhen konnte.
    ***
    Sarah hatte einmal bei einer Geburt geholfen, ehe sie sich auf Intensivpflege spezialisiert hatte. Der feste Wille der Frau, sich nicht zu blamieren, hatte sie damals überrascht. Diese Frau presste ein Kind aus ihrem Leib, schrie um ihr Leben und sagte Sachen wie: »Du Arschloch, komm hierher zurück und halte meine Hand.« Aber sie war wild entschlossen, sich nicht gehen zu lassen und flehte die Hebamme an, sie zu warnen, falls diese Gefahr bestehen sollte.
    Sarah hatte das damals etwas lächerlich gefunden. Wen kümmerte so was, wenn die eigene Würde dermaßen über jedes Verfallsdatum hinaus war?
    Natürlich versicherte die Hebamme der Frau, dass diese Gefahr nicht im Mindesten bestehe, dieweil sie stillschweigend eine Bettpfanne voller Scheiße verschwinden ließ.
    Aber als Sarah dort fest eingewickelt in ihrem Zeltsarg lag, verstand sie die Frau. Den eigenen Darm zu kontrollieren ist das letzte Fragment unserer Selbstachtung, und jeder ist darauf programmiert, sich in dieser Hinsicht nicht gehen zu lassen.Aber die Energie und Konzentration, die diese Selbstkontrolle erforderte, war qualvoll. Die Zähne zusammenbeißen, atmen, zählen, bis der Schmerz nachlässt, halten, Zähne zusammenbeißen, atmen. Manchmal gab es eine Ruhepause, und Sarah weinte vor Erleichterung, nur um sogleich wieder schmerzlich an ihre Aufgabe erinnert zu werden. Zusammenkneifen, atmen.
    Zum Schluss wurde sie selbst davon überrascht, dass die Sache einen Punkt passierte, an dem sie nicht mehr rückgängig zu machen war, und sie weinte, als die Spannung wich und sie den letzten Rest ihrer Würde fahren ließ.
    In der eigenen Scheiße zu liegen ist nicht angenehm. Man will sich dann übergeben.
    In der eigenen Scheiße zu liegen und zu kotzen ist nicht angenehm. Man will sich dann gleich wieder übergeben.
    Nach einer verzweifelten Serie von Entleerungen nahm Sarah nur noch winzig kleine Atemzüge. Schließlich bemerkte sie den Geruch gar nicht mehr und begann zu fantasieren. Sie plauderte mit der Spinne, die ihr über das Gesicht lief.
    »Hallo Kleines, hallo Thekla. Kannst du mir helfen? Nein, kannst du nicht, hm? Weißt du was? Den hier drücke ich mit der Stirn weg.«
    Sarah fing an, den Stein zu ihrer Rechten mit der Stirn wegzuschieben. Sie drückte und ruhte sich aus, drückte und ruhte sich aus, und als das Blut an ihrer Nase entlang in ihren Mund lief, leckte sie es auf. Dann drückte sie erneut, ehe sie schließlich wieder in die Bewusstlosigkeit hinüberglitt.
    ***
    Was war das?
    Sarah hörte etwas, ein Gespräch. Ein Mann sagte etwas, und ein Mädchen lachte.
    Sie merkte, dass sie sprach: »Ich werde sterben ich werde sterben ich werde sterben.« Aber als Sarah ihre eigene Stimme hörte, wusste sie, dass es ein Traum war, denn es war ihreStimme als Sechsjährige. Sie war wieder klein, und sie wiegte sich vor und zurück, und sie sang monoton vor sich hin. Die Tür zu diesem dunklen Ort war fest verschlossen, und die Stimmen des Mannes und des Mädchens verstummten. Daraufhin verfiel sie in Panik und schlug gegen die dunkle, fest verschlossene Tür, immer und immer wieder.
    »Nein! Halt! Lasst mich raus!«
    ***
    Sie wachte auf und war fast erleichtert, dass sie sich in der Felsspalte befand und nicht an dem anderen Ort. Sie lächelte.
    »Es funktioniert nicht, was? Vielleicht funktioniert die Sache mit den winzigen, machbaren Schritten in den Anden, aber in den Highlands funktioniert sie nicht. Ich werde eine Liste aller Sachen machen, die erledigt werden müssen, samt einiger unvernünftig großer Pläne. Nummer eins: Ich werde euch alles über Kyle McGibbon erzählen.«
    ***
    Einige Zeit später, als sie zwischen Spinnen an diesem dunklen, unheimlichen Ort lag, huschte eine Ratte über ihren Rumpf und auf ihr Gesicht.
    »Hallo«, sagte Sarah mit einer komischen

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