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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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Marmeladenglas, und versuchte zu entkommen.
    Sie musste mehrmals das Bewusstsein verloren haben, und jedes Mal, wenn sie erwachte, griff die Biene, die jetzt ihre erklärte Feindin war, erneut an. Sie wurde sich ihrer so bewusst, dass sie ihre Spur durch ihren Körper verfolgen konnte, und sie spürte, wie sie langsamer wurde, von zehntausend Meilen die Stunde zu Hunderten, zu Dutzenden, zu nichts.
    Um das Geräusch zu vertreiben, sprach sie laut durch ihren geschwollenen Mund, und ihre Stimme machte ihr Angst. Es klang, als hätte sie einen Kopfhörer auf.
    »Alles wird gut werden«, sagte sie sich. »Mir wird es gut gehen. Ich muss logisch denken.«
    Und so stellte und beantwortete sie mit lauter Stimme so viele Fragen, wie ihr einfielen. Als wäre sie eine Ärztin, die zur Diagnose eines Patienten Informationen sammelt.
    Kann ich meine Beine bewegen?
    Nein, sie sind gefesselt oder eingewickelt – wahrscheinlich mit einem Zelt.
    Kann ich mit den Zehen wackeln?
    Ja, ich kann mit den Zehen wackeln.
    Bekomme ich genug Luft?
    Zwischen den Steinen sind mindestens drei Ritzen. Mach dir keine Sorgen.
    Was zum Teufel ist das?
    Ein Arm.
    O Gott, ich werde sterben.
    Das wird schon wieder.
    Wessen Arm?
    O mein Gott, es ist mein Arm. Was macht er da? Ich bin am Arsch. Ich bin lebendig begraben.
    Du bist nicht am Arsch. Dein Arm ist ausgekugelt, aber das ist nicht schlimm. Alles wird gut.
    Sie fand heraus, dass sie bis zum Hals in ein Zelt eingewickelt war. Sie wusste, dass sie sich nicht ihrer Arme oder Beine bedienen konnte, um die Steine herauszustoßen, auch wenndie nicht besonders fest in dem Spalt zu stecken schienen. Sie wusste, dass ihre Kehle nach Wasser lechzte und dass sie dringend scheißen musste.
    Um sich von Letzterem abzulenken, entschloss sie sich, einen Plan zu schmieden. Nur einen Monat zuvor hatte sie eine Dokumentation über jemanden gesehen, der vermeintlich tot auf einem Berg in den Anden zurückgelassen worden war. Dieser Typ war tagelang mit einem gebrochenen Bein über Gletscher und Berge gekrochen und hatte es schließlich bis nachhause geschafft. Das war ihm gelungen, weil er die Sache Schritt für Schritt angegangen war, wie klein diese Schritte auch gewesen sein mochten.
    Wenn ich bloß den Stein dort erreichen kann.
    Wenn ich es bloß über den Felsvorsprung dort schaffe.
    Wenn ich bloß den Spalt dort herunterrutschen kann.
    Damit verbrachte Sarah die nächste Zeit. Die erste Aufgabe bestand darin, ihren linken Arm aus dem Zelt zu befreien.
    Wenn ich mich bloß genug winden kann, um das Zelt zu lockern.
    Wenn ich meine Hüfte bloß zweimal nach rechts drehen kann.
    Wenn ich meine Hüfte bloß zweimal nach links drehen kann.
    Also wand und drehte sie sich.
    Und wand und drehte sich.
    Noch einmal.
    Dann noch einmal.
    Und von Zeit zu Zeit versuchte sie sich einzureden, dass sie vorankäme, aber schließlich musste sie sich eingestehen, dass auf jedes Winden und Drehen, mit dem sie das Zelt lockerte, ein Winden und Drehen folgte, das es fester um sie herumwickelte.
    ***
    Sie hatte stundenlang in der Dunkelheit gelegen, als ihr Telefon plötzlich losschrillte. Es spielte ›Scotland the Brave‹.
    Horch, wenn die Nacht sich senkt,
    Hör, wie der Dudelsack klingt,
    Mächtig und stolz erklingt
    Tief in der Kluft.
    Dort, wo die Berge schlafen,
    Fühl jetzt dein Blut erwachen,
    Wenn dich der alten
    Hochländer froher Geist ruft.
    Ruhmreich und edel von Stand,
    Schottland, mein Heimatland,
    soll deine Flagge stolz
    wehen im Wind.
    Land voller Flüsse und Berge,
    Land, das im Herzen ich berge,
    tapf eres Schottland im Wind.
    Es war ein dünner, durchdringender, nicht enden wollender Ton, und er kam aus ihrer Jackentasche.
    Nachdem der erste Schreck verflogen war, versuchte sie logisch zu denken.
    Einer ihrer Arme war ausgekugelt und steckte hinter ihrem Nacken fest. Mit diesem Arm konnte sie die Annahmetaste nicht erreichen.
    Der andere war so fest in Zeltstoff gewickelt, dass sie ihn nie und nimmer freibekommen würde.
    Ihre Beine befanden sich in Embryonalstellung, mit leicht angezogenen Knien. Nach mehreren Versuchen, ihre Knie an die Brust zu ziehen, musste sie einsehen, dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt war. Der Felsspalt war zu klein, ihre Beine waren zu fest eingewickelt, und ihre verdammten Titten waren zu groß.
    Sie verschnaufte, als das Telefon zu klingeln aufhörte, dann weinte sie. Ihre einzige Hoffnung war dahin.
    Sie hatte sich noch nicht lange ausgeruht, als das Telefon

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