Furchtbar lieb
torkelte mitleiderregend auf die Felskante zu und versuchte, um Hilfe zu kreischen. Sie musste zehn Meter weit gehen, ehe er so langsam geworden war, dass sie ihn einholte. Dann fiel er auf die Knie. Sie schaute in sein unverletztes Auge und rammte den Metallpflock hinein.
Sarah stieß Kyle nach vorn, und die beiden Pflöcke drückten sich mit einem nassen Patschen tiefer in seinen Kopf.
Es war immer noch dunkel, und so blieb Sarah genug Zeit, Kyles Leiche dort zu verstauen, wo sie selbst die letzten dreiundzwanzig Stunden zugebracht hatte. Sie fragte sich, warum Kyle geglaubt habe, er müsse sie zerstückeln und wegschaffen. Das war völlig unnötig. Niemand würde hier draußen jemals eine Leiche finden. Nachdem sie die Pflöcke herausgezogen und ihm ein paar Mal ins Herz gestoßen hatte, sägte sie ihm beide Arme ab, damit er ordentlich in den Felsspalt passte. Dann war sie sich sicher, dass er tot genug war, um keinen Ärger zu machen, und schob ihn hinein.
Sie sah sich in der Spalte nach einer Garnierung um und fand ihre Spinne.
»Hallo, Thekla«, sagte sie, als sie die Spinne aus ihrem Spinnennetz pflückte. Dann musterte sie Kyles Gesicht, zog behutsam seine weiche Unterlippe nach unten, stemmte mit den Fingern seine Zähne auseinander und stopfte Thekla in seinen Mund.
»Das ist Kyle, der Typ, von dem ich dir erzählt habe.«
Sarah machte sich daran, die Steine zurückzulegen. Da sie den Wiederaufbau ihrer Steinmauer in Loch Katrine überwacht hatte, kannte sie sich mit diesen Dingen ein bisschen aus und leistete ganze Arbeit. Schließlich hatte sie den Felsspalt komplett kaschiert, ganz im Gegensatz zu Krissie, die (typisch für sie) sehr nachlässig gearbeitet hatte.
Als Nächstes zog sie ihre verdreckte Hose aus und die Sachen an, die Kyle für sich selbst zum Wechseln eingepackt hatte. Im Geist setzte sie ein Häkchen hinter dem ersten der unrealistisch weitreichenden Pläne, die sie in der Dunkelheit geschmiedet hatte.
Kyle umbringen.
Was für eine glückliche Fügung, dass er auf diese Weise aufgetaucht war. Sie hatte gedacht, es würde Stunden dauern, ehe sie in Sicherheit wäre, und dann Tage, um ihn zur Strecke zu bringen, falls sie es jemals geschafft hätte, sich selbst aus dem Felsspalt zu befreien.
Nicht nur, dass er wie ein Geschenk des Himmels aufgetaucht war, er hatte sie auch medizinisch versorgt, so dass sie genug Kraft gehabt hatte, ihn auf der Stelle kaltzumachen.
Krissie umzubringen gehörte nicht zu Sarahs Racheplan. Nicht, dass sie Krissie nicht gern umgebracht hätte – tatsächlich konnte sie nicht glauben, was ihre Freundin ihr angetan hatte –, aber vor langer Zeit hatte Sarah einen Pakt mit Gott geschlossen, dass ihrer Freundin nie wieder etwas Böses widerfahren dürfe.
Und außerdem wäre es sowieso Rache genug, Robbie zu bekommen – das Kind, von dem sie glaubte, dass es ihr rechtmäßig zustehe.
Aber wie?
Diesmal erschrak Sarah nicht, als das Telefon in ihrer Tasche klingelte. Aber sie war verwirrt, denn sie hatte für einen Moment vergessen, dass sie mit der Hand in ihre Jackentasche greifen, das Telefon herausnehmen und die Taste drücken konnte. Einfach so.
Und genau das tat sie.
»Guten Tag, hier spricht Claire Smith. Ich würde gern mit Sarah McGibbon sprechen«, sagte die Stimme einer Frau mittleren Alters zu Sarah. »Ich bin Sozialarbeiterin im Bezirk Partick. Ich rufe wegen Ihrer Freundin Krissie Donald an.«
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Kapitel dreißig
Ich verabschiedete mich von dem perfekten Leben, das ich in den Wind geschossen hatte, und wollte mich gerade auf den Weg zur Polizeiwache machen, als zu meiner Überraschung das Telefon klingelte.
Meine Mutter war dran.
»Mum! Wo bist du? Die Leute von der Fürsorge haben Robbie mitgenommen, und ich habe etwas wirklich Schlimmes getan … Ich habe solche Angst. Ich wollte gerade zur Polizei gehen.«
Meine Mutter wurde aus meinen hysterischen Erklärungsversuchen nicht schlau. Sie beruhigte mich ein wenig, dann sagte sie: »Schätzchen, überstürz jetzt nichts. Warte, bis wir bei dir sind. Nimm dir ein Taxi zur Kenilworth, Kriss. Wir sind so schnell wir können zurück.«
Meine Mutter hatte recht. Ich schaffte das nicht allein. Nachdem sie aufgelegt hatte, empfand ich solche Sehnsucht nach ihr, dass es wehtat. Himmel, wenn ich an alles dachte, was mein Vater und sie seit Robbies Geburt auf sich genommen hatten, schämte ich mich in Grund und Boden. Sie hatten sich wunderbar verhalten, und ich war ein Albtraum
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