Furor
Ich denke, ihr habt an Substanzen gearbeitet, die nach der Einnahme dafür sorgen, dass alle humanen Gedanken, Gefühle und Empfindungen ausgeschaltet sind.«
Wallroth sah ihn mit Respekt an.
»Nett formuliert. Allerdings ging es nicht um all diese Gefühle. Wir haben es geschafft, in den Probanden ein Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe zu erzeugen und gleichzeitig paranoide Tendenzen zu verstärken, die sich gegen Außenstehende richten. Ziel war eine Substanz, mit der sich die Effizienz unserer Armee und Polizei steigern ließ. Und willst du vielleicht leugnen, dass das wichtig ist? Ist dir eine Armee von Soldaten lieber, auf die du dich nicht verlassen kannst, weil sie im Kriegsfall erst diskutieren, ob es nicht besser wäre, Fersengeld zu geben?«
»Mir ist alles lieber, was wir erreichen, ohne dafür ganze Dörfer auszulöschen. Ideen, die aus so einem kranken Hirn wie deinem stammen, das ist doch . . .«
Sebastian holte tief Luft. Dann war er plötzlich ganz ruhig. »Hast du nicht einen medizinischen Abschluss? Bist du nicht Arzt? Was ist mit dem hippokratischen Eid? Schwört man da nicht, Leben zu schützen?«, fragte er leise.
»Aber ja«, lachte Wallroth kalt. »Ich schütze Leben. Aber wie wäre es, wenn wir auch gleich noch die Medizin der alten Griechen wieder anwenden, wenn wir uns schon nach ihren verstaubten Sprüchen richten sollen?«
Sebastian ging nicht darauf ein. »Schon deine Bereitschaft, eine Vielzahl von Menschen umzubringen, um an Forschungsergebnissezu kommen, zeigt doch, dass du krank bist. Es sind Leute wie du, die überhaupt erst Kriege auslösen. Das ist meine Überzeugung.«
»Krank«, fauchte Wallroth verächtlich. »Was weißt du denn schon. Mal im Ernst. Unsere Erfolge von damals dienen heute noch dazu, die Leistung unserer Polizei und unserer Soldaten zu steigern. Da ist das Zeug schon seit Jahren im Einsatz. Mit großem Erfolg übrigens.« Er sah wehmütig in sein Glas, als er fortfuhr: »Schade, dass wir diese Leistungen nicht öffentlich machen können.«
Ach! Diese Leistungen der Polizei habe ich erst kürzlich beobachtet, dachte Sebastian. Wieso diskutiere ich überhaupt mit diesem Typen? Aber diese letzte Information konnte sehr wichtig sein. Wer wusste davon, wenn Wallroth seine Studienergebnisse nicht veröffentlichen durfte? Gab es vielleicht sogar in der Regierung Leute, die wussten, was wirklich vor sich ging? Und gab es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Peru und dem Massaker im Sudan, von dem Altmann gesprochen hatte? Das herauszufinden würde nicht seine Aufgabe sein. Aber er wollte noch Gewissheit in einem Punkt.
»Der Agent der Regierung, der damals mit euch zusammengearbeitet hat, hieß Dietz. Das ist der gleiche Dietz, der heute Chef der IS/STA ist, oder?«
Wallroth nickte. Sebastian tat so, als hätte er es nicht gesehen, er schaute aus dem Fenster und wiederholte die Frage.
»Natürlich«, antwortete Wallroth jetzt laut. »Du wirst doch nicht an solche Zufälle glauben.«
»Ich wüsste gern noch eine Sache. Mein Vater hatte damals, ohne es zu wissen, für euch gearbeitet. Und jetzt wollten diese IS/STA-Leute wieder an seine Forschungsergebnisse, oder? Er hatte etwas Neues erreicht. Eine neue Technik, um Erinnerungen von noch lebenden Personen aufzunehmen.«
Wallroth schaute auf. Er schien erregt. »Was weißt du eigentlich davon?«, fragte er.
Sebastian hob abwehrend die Hand. »Moment. Er hatte also etwas Neues entdeckt und ihr wolltet es haben. Und diesmal wurde er sogar gefragt, nicht wahr? Denn anders wäre es nicht gegangen. Wer ist denn zu ihm gegangen und hat ihm vom großen Interesse an seinen Forschungsergebnissen erzählt? Du, nicht wahr? Denn dich kannte er ja schon. Auf dich – so euer Kalkül – würde er vielleicht nicht gleich so abwehrend reagieren wie auf irgendwelche verbeamteten Mörder. Aber er hat dir gesagt, dass diese Forschung nur der Befriedigung seiner eigenen Neugier, seines eigenen Ehrgeizes gedient habe. Er wollte nicht, dass die Technik in falsche Hände geriet. In deine Hände. In ihre Hände. In die dreckigen Pfoten der IS/STA. Und er hat in sein Tagebuch geschrieben, seit Jahren wieder zum ersten Mal. Er hat den Namen der Abteilung geschrieben und deinen Namen und die Worte Nie wieder .«
Sebastian wiederholte die Worte, brüllte sie Wallroth ins Gesicht: » Nie wieder! Hat er dir das nicht genauso in deine Visage geschrien, wie ich es jetzt tue?«
Als Wallroth antwortete,
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