Furor
seinem Buch eine leicht übertriebene Notiz zu widmen.
Auf den letzten beschriebenen Seiten entdeckte Sebastian weitere rote Markierungen. Diesmal waren es die Namen zweier Kollegen, Wallroth und Steadman, die rot angestrichenwaren. Verdammte Idioten stand dahinter. Das überraschte Sebastian. Wieso beschimpfte sein Vater seinen Freund Wallroth und seinen Mitarbeiter Steadman, und dann noch in roter Farbe? Rot markiert war auch etwas auf der allerletzten Seite. Dort stand ein Kürzel, IS/STA , das Sebastian nichts sagte. Und dann hatte sein Vater noch die letzten beiden Worte im Buch rot unterstrichen: Nie wieder!
Sebastian nahm das Buch in die Hände und lehnte sich im Stuhl zurück. Dabei fiel ein Blatt Papier heraus, das zwischen den Seiten gesteckt hatte. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass es sich um einen Brief an seine Mutter handelte, der begann mit Liebe Julia. Durfte er ihn lesen? Oder würde er dabei zu tief im Privatleben seiner Eltern herumschnüffeln? Ein Liebesbrief würde es wohl nicht sein, vermutete Sebastian. Diese Briefe lagen sicher irgendwo zum Paket zusammengeschnürt in einem Karton im Schrank. Ein Papier, das im Terminkalender lag, musste einen anderen Zweck haben. Er entschied sich dafür, den Brief zu lesen, aber erst später.
Er untersuchte nochmals die ersten Seiten des Buches. Auf Seite zwei stand der Name Wallroth zum ersten Mal. Dann wieder auf Seite 13, zusammen mit dem Namen eines Institutes: California Institute of Technology, Pasadena, und auf Seite 20, vor RIKEN-Institut für physikalische und chemische Forschung, Wako-shi, Jap. Danach auf Seite 32, mit einem schwedischen Institut zusammen. Auf Seite 37 tauchte Wallroths Name dann zusammen mit den Namen J. W. Berthold, M. Koch und G. Steadman auf. Dort stand noch ein Wort: Coca . Das war sicherlich keine Institutsbezeichnung. Die nächste Notiz war vier Wochen später datiert. Es schien ein Name zu sein: Gen. Bartolo. Schließlich kam, weitere acht Wochen später, wieder eine rote Markierung, zusammen mit einem neuen Namen: San Mateo. Dahinter stand das Wort Katastrophe. Mehr nicht. Wenige Tage nach diesem Eintrag fand er nocheinmal die Namen Berthold und Koch. Hinter beide Worte hatte sein Vater ein Kreuz gemalt. Das war alles. Enttäuscht legte Sebastian das Buch beiseite und nahm sich den Brief an seine Mutter vor.
Liebe Julia,
ich habe gute Nachrichten. Hier läuft alles bestens. Es ist nicht zu glauben, was es bedeutet, staatliche Unterstützung zu bekommen. Das Institut besteht zwar nur aus einer Hütte, aber die Geräte sind erstklassig, die Lage ist fantastisch. Wir schauen aus dem Fenster direkt auf die Pampa, am Horizont ragen die Gipfel der Kordilleren in den Himmel. Manchmal tauchen tatsächlich Lamaherden auf. Eine Postkartenaussicht, nahe an der Grenze zum Kitsch. Und abends besuchen uns regelmäßig Viscachas, die südamerikanische Version des Murmeltiers. Ich wünschte, du könntest die Aussicht mit mir teilen. Auch das Projekt geht wunderbar voran. So ganz ohne Geldsorgen arbeitet es sich wie von selbst. Es war die richtige Entscheidung, sich einmal auf die Neurotransmitter zu konzentrieren. Und wer weiß, wenn wir hier fertig sind, ist die Welt vielleicht um ein wichtiges Medikament reicher. Bis jetzt haben wir keine Nebenwirkungen festgestellt. Und die paar Mal, da wir das neue Zeug selbst ausprobiert haben, war die Arbeit die reine Freude. Wir kommen uns ein wenig seltsam vor. Wie unsere eigenen Versuchskaninchen. Aber Stress haben wir genug, und da ist es doch nahe liegend, unser Stress-Medikament selbst zu testen. Wenn man es sich recht überlegt, ist es natürlich eine seltsame Sache, mit ehemaligen Drogen-Baronen zusammenzuarbeiten. Aber in dieser Wunderpflanze steckt ein so ungeheures Potenzial. Wir wollen heute endlich einen Test in klinischer Größenordnung durchführen, der hoffentlich signifikante Daten ergibt. General Bartolo hat uns dafür eine Einheit – oderwas immer die militärische Größenordnung ist – zur Verfügung gestellt, die in der Nähe ihr Basislager hat. Wir sind sehr gespannt, aber voller Hoffnung. Frank lässt dich grüßen. Ich werde dir morgen von den Ergebnissen berichten.
Sebastian hatte keine Ahnung gehabt, dass sein Vater einmal in Südamerika gewesen war. Seine Eltern hatten niemals davon gesprochen, und er konnte sich auch nicht an Fotos erinnern. In der Wohnung seines Vaters gab es zwar einen kleinen Wandbehang aus Peru. Ein Tumi war darauf abgebildet, ein
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