Furor
standen Absperrgitter. Er wich auf die Straße aus und sah, dass das Fenster seines Nachbarn weit offen stand. Ein Bettlaken hing davor. Mein Gott, dachte Sebastian, der alte Förster . . . Noch bevor er weiterdenken konnte, griff die Kraindl aus dem Erdgeschoss nach seinem Arm: »Herr Raabe, stellen Sie sich das vor: Herr Förster ist umgebracht worden!« Sie starrte an der Hauswandhoch. Ein Mann in Uniform zog das Laken in das Zimmer hinein. Das Licht ging aus. Sebastian stieg die Treppe zu seiner Wohnung hinauf. Noch ein Toter, dachte er.
Mitschnitt der Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses »Spezialkräfte« vom 5. April. Abschrift in Auszügen – Fortsetzung
Dr. Reinhard B. (SPD): Meine Damen und Herren. Wie Sie wissen, gibt es einen weiteren Zeugen, der bereit ist, über die Vorkommnisse, die Gegenstand dieser Untersuchung sind, auszusagen. Stellen Sie sich bitte selbst vor?
Zeuge: Mein Name ist (geschwärzt). Ich war Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte und in Calw stationiert. Ich stand im Range eines (geschwärzt). Ich war seit 1999 Mitglied des KSK. Ich bin im Januar dieses Jahres aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und arbeite jetzt bei einer Sicherheitsfirma in Mannheim.
Dr. Reinhard B. (SPD): Herr (geschwärzt). Sie haben sich im Dezember als Mitglied der deutschen Streitkräfte im Sudan aufgehalten?
Zeuge: Ja.
Dr. Reinhard B. (SPD): Kennen Sie Herrn (geschwärzt)?
Zeuge: Ja. Er war mein direkter Vorgesetzter.
Dr. Reinhard B. (SPD): Erinnern Sie sich an Ihren ersten Einsatz dort?
Zeuge: Ja.
Dr. Reinhard B. (SPD): Erzählen Sie uns bitte, was Ihrer Erinnerung nach während dieses Einsatzes geschehen ist.
Zeuge: Wir sind alle völlig durchgedreht. Wir sind völlig ausgeflippt. Ich . . . wir . . . sind . . .
(Pause)
Wir sollten ein Dorf sichern und dann haben wir einfach . . .
Dr. Reinhard B. (SPD): Bitte beruhigen Sie sich.
Zeuge: Ja. Es ist . . . Ja. Also, wir haben dieses Dorf gesichert, und dabei sind wir . . . Ich erzähle einfach mal, wie ich es erlebt habe. Wir sind schnell in das Dorf eingedrungen, vielleicht fünfzehn Hütten. Mitten in der Wüste. Wir waren irgendwie aufgedreht. Die Bewohner kamen auf uns zu, und sie wirkten bedrohlich. Ich weiß gar nicht, wieso. Im Nachhinein . . . es . . . Aber ich habe sofort geschossen. Um mich herum, die Kameraden, die haben es genauso gemacht. Überall lagen die Leichen. Wir haben so viele Kugeln in ihre Körper gejagt, dass . . . Wir haben geschossen. Auf alles, was sich bewegt hat. Wir haben sie alle umgebracht. Ich habe gesehen, wie einer meiner Kameraden sein Messer gezogen hat, nachdem sein Magazin leer war. Er hat . . . Himmel, ich . . . ich habe gelacht! Heute . . . ich träume immer noch davon.
(Pause)
Dr. Reinhard B. (SPD): Danke. Bitte setzen Sie sich. Wir würden Ihnen jetzt gern einige Fragen stellen. Zuerst einmal: Haben Sie irgendeine Idee, wie es dazu kommen konnte, dass Sie alle – offenbar grund- und wahllos – Menschen getötet haben?
Zeuge: Ich weiß es bis heute nicht.
Dr. Heidrun F. (CDU): Ist vor Ihrem Einsatz etwas Außergewöhnliches passiert?
Zeuge: Was meinen Sie?
Dr. Heidrun F. (CDU): Vielleicht erzählen Sie uns, was passiert ist, seit Sie Deutschland verlassen hatten.
Zeuge: Ich erinnere mich, dass es sehr heiß war. In Deutschland war ja Winter. Wir sind zuerst auf dem Stützpunkt der Amerikaner in Saudi-Arabien gelandet, auf der Prinz Sultan Air Base. Dann ging es wieder nach Westen, über das Rote Meer nach Port Sudan. Es gibt dort einen kleinen Flughafen, im Süden der Stadt. Da haben die Amerikaner die Sharqiyah Air Base eingerichtet. Sie sagen Sharky Air Base dazu. Am zweiten Tag nach unserer Ankunft wurden wir ins Landesinnere geschickt. Eigentlich sollten ja die Red See Hills unser Operationsgebiet sein. Das ist diese Gebirgskette am Roten Meer.
Ziemlich schroffe Berge, bis zu 2000 Meter hoch. Die Terroristen haben dort ihre Ausbildungslager. Der größere Teil der Kommandokompanie hat dort auch operiert.
Aber vier Kommandotrupps wurden mit Geländewagen auf die Hauptstraße nach Khartoum geschickt. Wir sind in den Tälern geblieben, und als wir die Berge hinter uns hatten, kam schließlich über Funk der Befehl, am nächsten Tag dieses Dorf zu sichern. Wir richteten uns für die Nacht ein, schliefen abwechselnd. Es war wie bei einer Übung. In der Morgendämmerung ging es dann los.
Dr. Heidrun F. (CDU): Und das war es dann?
Zeuge: Das war es dann.
19. April,
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