Furor
vulgär.
Plötzlich stand Garland Steadman in der Tür. Überrascht blieb der Wissenschaftler stehen. »Darf ich?«, fragte er, und zögerte kurz. Die Verlegenheit des Professors irritierte Sebastian. Niemand, dachte er, wirklich niemand konnte diesen Mann leiden. Steadman war ein rotes Tuch für jeden am Institut. Er war ein autoritärer, ungeduldiger alter Trottel, dem es niemand recht machen konnte. Seine Unsicherheit wirkte aufgesetzt.
Jetzt rückte sich Steadman die Nickelbrille auf der dünnen Nase zurecht, blickte im Zimmer umher und kratzte sich hinter dem Ohr. Sein Blick blieb an dem Computerbildschirm hängen. Dann wanderten die blassblauen Augen zurück zu Sebastian und fixierten ihn.
Steadman war ungefähr so alt wie sein Vater. Auch er war von Anfang an dabei gewesen, als Wallroth und Raabe das Institut gegründet und zu dem gemacht hatten, was es heute war. Das Verhältnis zwischen Steadman und seinem Vater war jedoch ziemlich unterkühlt gewesen.
»Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir zu sagen, wie Leid mir das tut.« Steadman streckte Sebastian die Hand entgegen und schlurfte mit hängenden Schultern auf ihn zu. Sebastian mochte es nicht, dass Steadman ihn duzte. Bei Lannert und Wallroth war das was anderes.
»Fürchterliche Sache, das mit deinem Vater«, sagte er, während er Sebastian die Hand schüttelte.
»Es wird behauptet, Christian hätte getrunken. Hast du das gewusst?« Er sah forschend in Sebastians Gesicht. »Das muss schon eine ganze Weile so gegangen sein«, fuhr er fort. »Immer,wenn ich aus dem Haus gegangen bin, brannte noch Licht hier im Zimmer.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass er getrunken hat«, antwortete Sebastian. »Und ich kann es mir eigentlich auch nicht vorstellen.«
»Er kam mir in letzter Zeit sehr verschlossen vor.« Steadman bemühte sich, mitfühlend zu klingen. Es gelang ihm nicht.
»Wir haben eine Weile wenig Kontakt gehabt«, fuhr Steadman fort. »Jetzt begreife ich erst, dass er sich richtiggehend zurückgezogen hat. Ich habe mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Leider.« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »In den Zeitungen stand, die Polizei hätte hier eine leere Flasche Whiskey gefunden. Bushmills, hm?« Er lächelte versonnen. »Dein Vater hatte ja in allen Dingen einen guten Geschmack.«
Wann Steadman wohl merken würde, dass Sebastian keine Lust auf seine Gesellschaft verspürte? Was zum Teufel wollte er eigentlich?
Steadmans Haltung veränderte sich. Er nahm seine Brille ab, massierte sich den Nasenrücken und blickte sich kurzsichtig im Zimmer um. Dann setzte er die Brille wieder auf und betrachtete durch die dicken Gläser misstrauisch Sebastians Gesicht. »Was machst du hier eigentlich?«, fragte er. »Du hast noch den Büroschlüssel? Den wirst du natürlich bald abgeben müssen.«
Arschloch, dachte Sebastian. »Ich habe hier noch einiges zu erledigen. Und wenn ich das Büro meines Vaters ausgeräumt habe, gebe ich auch den Schlüssel ab.«
Steadman hob beschwichtigend die Hand. »Entschuldige, natürlich. Lass dir Zeit.« Er verabschiedete sich abrupt. Erleichtert beugte Sebastian sich wieder über das Eulenspiegelbuch.
Er las bis in den Nachmittag hinein. Dann stieß Sebastian auf die Historie 41. Der Inhalt der Geschichte war unspektakulär. Aber zum ersten Mal tat Eulenspiegel etwas, das Sebastian wie elektrisiert auf dem Stuhl hochgehen ließ.
Denn Eulenspiegel hatte diese Gewohnheit: Wo er eine Büberei tat und man ihn nicht kannte oder seinen Namen nicht wusste, da nahm er Kreide oder Kohle, malte über die Tür eine Eule und einen Spiegel und schrieb darüber auf Lateinisch: Hic fuit.
Hic fuit! Das musste es sein: Er ist hier gewesen.
Sebastian schaltete den Computer hastig wieder ein und wartete nervös, bis er endlich auf die Tasten einschlagen konnte, hin- und hergerissen zwischen der frohen Erwartung, es diesmal zu schaffen, und der Furcht vor dem, was er möglicherweise finden würde.
Ne stultus quidem usus sit isto computatore, Mellon
Sebastian legte die Finger auf die Tastatur, nur um sie gleich wieder wegzunehmen. Er wollte jetzt jeden Buchstaben treffen. Mit dem Zeigefinger tippte er langsam ein:
Hicfuit
Er drückte Return.
Als der Bildschirm in Farben explodierte, erschrak Sebastian noch heftiger als beim ersten Mal.
»Verdammt!« Er packte das Eulenspiegelbuch und schleuderte es quer durch das Zimmer. Kalte Wut stieg in ihm hoch.
»Ich geb’ auf!«, flüsterte er. »Ich geb’ auf und du
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