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Furor

Furor

Titel: Furor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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dich, wenn jemand für deinen Vater betet?«
    »Nein, natürlich nicht«, antwortete Sebastian etwas hilflos. Es zeigte sich schon jetzt, dass Wallroth ihm eine Stütze war.Der Priester hatte ihn aus der Fassung gebracht. Das passierte momentan so verdammt leicht. Also, warum sollte der Priester nicht beten? Vielleicht wäre es ja sogar schön mitzubeten, es doch noch einmal zu versuchen. Er betete schon lange nicht mehr. Der Glaube war ihm nach dem Tod seiner Mutter keine Hilfe gewesen. Aber man sollte die Hoffnung ja nicht aufgeben. Hieß es nicht auch in der Bibel so?
    »Was meinen Sie, ist die Seele beim Eintreten des Hirntods schon in den Himmel aufgestiegen, oder geschieht das erst, wenn auch der Körper stirbt?«
    Der Priester war sichtlich irritiert von Wallroths Frage.
    »Ich muss gestehen . . .« Er zuckte hilflos die Schultern. »Ich vermute, dass Herr Raabe jetzt stirbt, und überlasse die theologischen Diskussionen größeren Geistern. Die Bibel gibt hier, fürchte ich, keine eindeutige Antwort.«
    »Herr Raabe«, wandte sich die Ärztin noch einmal an Sebastian, bevor sie die Tür öffnete. »Wenn wir die Geräte abstellen, dann zeigt der Sterbende in der Regel keine Reaktionen. Aber es kann in seltenen Fällen zu Reflexen kommen.«
    Sebastian nickte.
    »Es ist manchmal nicht ganz leicht für die Angehörigen, das zu ertragen.«
    Beinahe feierlich betraten sie das Zimmer, in dem Sebastians Vater lag.
    Gleichmäßig hob und senkte sich dessen Brustkorb im Rhythmus des Sauerstoffgerätes, das EKG piepste vor sich hin. Wie um die Sinnlosigkeit aller Anstrengungen der Medizin zu unterstreichen, zeigte einer der Bildschirme das EEG. Es bestand aus einigen glatten, horizontalen Linien. Hier wohnte kein Geist mehr, den die Maschinen noch hätten messen können.
    Der Körper war von einem Laken verdeckt, unter dem sich die Konturen abzeichneten. Christian Raabe war ein stattlicherMann gewesen, jetzt aber erschien sein Körper kleiner und schmächtiger als zuvor. Kopf und Gesicht verschwanden unter einem Verband, lediglich Nase und Mund waren vage unter einer Plastikmaske zu erkennen.
    Sebastian ging zum Bett seines Vaters hinüber. Der rechte Arm lag nackt auf der Decke, in der Ellenbogenbeuge verschwand eine Braunüle. Der Infusionsschlauch war schon entfernt. Sebastian griff nach der Hand seines Vaters. Sie war schwer und seltsam schlaff. Der Ring, an dem Sebastian ihn identifiziert hatte, saß noch auf dem Ringfinger. Er musste das Bestattungsunternehmen daran erinnern, ihn abzunehmen.
    »Sind Sie so weit?«, fragte die Ärztin. Nein, hätte Sebastian beinahe gesagt, und das wäre die Wahrheit gewesen. Aber er nickte. Dann ließ er seinen Vater los und trat einen Schritt zurück. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Wallroth stand hinter ihm.
    Die Ärztin schaltete die Maschinen ab, kam zu Sebastians Vater herüber und entfernte die Maske von Christian Raabes Gesicht. Dann trat sie zurück.
    Nach dir, HERR, verlanget mich. Mein Gott, ich hoffe auf dich; lass mich nicht zuschanden werden, dass meine Feinde nicht frohlocken über mich.
    Sebastian betrachtete den Körper vor sich im Bett, während die ruhige Stimme des Priesters den Raum erfüllte. Das weiße Laken schien furchtbar hell, blendete ihn. Alle Details der Decke brannten sich ihm in die Netzhaut, der scharfe Kontrast zwischen den weißen Falten und den dunklen Schatten, die sie warfen, die feine Struktur des Gewebes.
    Denn keiner wird zuschanden, der auf dich harret; aber zuschanden werden die leichtfertigen Verächter.
Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.
    Sebastians Blick wanderte hinauf zum Kopf seines Vaters. Die unbedeckte Gesichtspartie war rasiert, deutlich konnte er die winzigen Bartstoppeln erkennen und am Kehlkopf einzelne längere Härchen, die die Pfleger übersehen hatten. Unter dem Kopfverband krochen ein paar dunkle Locken hervor.
    Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen,
gedenke aber meiner nach deiner Barmherzigkeit, HERR, um deiner Güte willen!
Der HERR ist gut und gerecht; darum weist er Sündern den Weg.
Er leitet die Elenden recht und lehrt die Elenden seinen Weg.
Um deines Namens willen, HERR, vergib mir meine Schuld, die so groß ist!
    Dann begann der Körper zu zucken.
    Die Reflexe waren stark, begannen in den Gesichtsmuskeln, dann durchliefen sie den gesamten Körper. Hilflos und entsetzt sah Sebastian zu, wie dieser seelenlose Körper

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