Furor
Nein. Ich habe mich mit Generalleutnant Wagner und dem Verteidigungsminister besprochen, und wir haben zu diesem Zeitpunkt keinen Grund gesehen, die Vorwürfe ernst zu nehmen.
Jochen H. (Grüne): Vielleicht sollten wir den Verteidigungsminister bitten, ebenfalls Stellung zu nehmen.
Dr. Reinhard B. (SPD): Ich kann Ihnen versichern, dass der Verteidigungsminister die Vorwürfe sehr ernst nimmt.
Jochen H. (Grüne): Jetzt sicher.
Christian V. (CDU): Bitte! Generalleutnant Leise, können Sie sich vorstellen, dass Mitglieder des KSK an einem Massaker beteiligt sein könnten?
Zeuge: Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Christian V. (CDU): Warum nicht?
Zeuge: Wissen Sie, wie genau wir Bewerber unter die Lupe nehmen, die in das KSK aufgenommen werden wollen? Unsere Auswahlkriterien sind so hoch, dass wir Nachwuchssorgen haben. Deshalb ist auch die vierte Kommandokompanie noch immer nicht einsatzbereit. Nun, Angehörige des KSK befolgen Befehle, und diese Befehle beinhalten niemals den Mord an Zivilisten. Ich bin überzeugt, dass nicht Angehörige des KSK dieses Massaker angerichtet haben. Niemand vom KSK.
Dr. Reinhard B. (SPD): Nun, wir haben die Aussage zweier Angehöriger des KSK gehört. Entschuldigung, eines Angehörigen des KSK und eines ehemaligen Angehörigen. Die Bundesregierung und der Bundestag nehmen die Aussagen der nach eigenen Angaben an einem Massaker beteiligten Zeugen sehr ernst. Deshalb werden wir der Sache weiter nachgehen.
Wie mir die Ermittlungsbehörde des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag mitgeteilt hat, werden die Untersuchungen im Sudan mit höchster Priorität betrieben. Sobald wir über neue Erkenntnisse verfügen, informieren wir den Bundestag und finden uns dann wieder zusammen. Vielen Dank.
23. April, Morgen
Er hatte beschlossen auszuschlafen. Der Wecker klingelte um zehn, aber Sebastian blieb noch eine ganze Weile im Bett. Nur um einen Kaffee auf- und eine Schale Müsli anzusetzen, war er aufgestanden und hatte sich dabei gleich die Fernbedienung für den Fernseher geschnappt, bevor er sich wieder ins Bett gelegt hatte.
Mittags rief Lannert an. Den Vorschlag des Anwalts, Christian Raabes Beerdigung zu organisieren, nahm Sebastian dankbar an. Sie sollte drei Tage später auf dem Westfriedhof stattfinden.
Nach dem Telefonat zog Sebastian sich an, warf sich seine Jacke über die Schulter und verließ die Wohnung, um sich in einem kleinen chinesischen Takeaway in der Nähe mit Verpflegung zu versorgen. Take away, take away – das klang ja richtig chinesisch.
Er fühlte sich nicht besonders gut – und obwohl er den Vormittag im Bett verbracht hatte, war er erschöpft. Sein Fuß tat noch immer weh. Er humpelte über das Kopfsteinpflaster hinüber zur Imbissbude an der Schwanthalerstraße und kaufte eine Schale voll undefinierbarer Substanzen, die im Geschmack entfernt an Huhn und Curry erinnerten.
Schließlich fasste Sebastian einen Entschluss. Er verließ den Imbiss und versuchte die Straße zu überqueren, ohne von einem Radfahrer überfahren zu werden, seine Jacke anzuziehen und gleichzeitig die erste Telefonnummer in sein Handy zu tippen, die auf Sareah Anderwalds Karte stand. Ein kalter Wind fuhr unter seinen Kragen und machte ihm eine Gänsehaut. Der gewünschte Teilnehmer war unter dieser Nummer zurzeit nicht erreichbar. Als er die zweite Nummer wählte, meldete sich ein Anrufbeantworter mit der leicht verzerrten Stimme einer jungen Frau. Sie erinnerte ihn an die Stimme, dieihn im Institut gefragt hatte: »Wie ich heißen sollte, muss ich wahrscheinlich nicht erklären, oder?«
»Hier ist Sebastian Raabe«, sprach er auf das Band. »Der Typ, den du interviewt hast.« Er stockte. Was wollte er ihr denn eigentlich sagen?
»Tja, vielleicht – vielleicht könnten wir uns noch mal treffen. Ich bin heute Abend ab neun im Last Experience, Amalienstraße in Schwabing. Ich würde mich freuen, wenn du kommst.« He, das war ja richtig mutig. »Wenn du nicht kommst, dann ruf ich dich einfach später noch einmal an oder so.« Oder so. Klasse, dachte er. Echt cool. »Also dann . . . vielleicht bis dann.«
Das, dachte er, war ja wohl die blödeste Einladung der Welt gewesen. Wenn sie je Lust gehabt hatte, ihn zu treffen, dann würde sie ihr mit diesem Anruf bestimmt vergangen sein.
Als er das Telefon ausschalten und wegstecken wollte, meldete sich wieder die Mobilbox.
»Sareah Anderwald hier. Sebastian, können wir uns bald sehen?«
Sebastian war überrascht. Da hätte
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