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Furor

Furor

Titel: Furor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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Wallroth anspielte. Heroin hatte seinen Namen während des Ersten Weltkriegs erhalten, als esversuchsweise eingesetzt wurde, um aus Menschen Heroen, Helden, zu machen.
    »Und dann habt ihr es an peruanischen Soldaten ausprobiert, und etwas ist schief gegangen?« fragte er. »Mein Vater hat geschrieben, Steadman hätte es bezeichnet als . . .«
    »Koinzidenz-Katastrophe«, beendete Wallroth seinen Satz. »Ja. Heute würden wir vielleicht ›Nonylphenol-Äquivalent‹ oder so etwas sagen.« Der Forscher bemerkte Sebastians verständnislosen Blick. »Wegen eines Vorfalls, der Anfang der neunziger Jahre in den USA, an der Bostoner Tufts University, passiert ist«, erklärte er. »Damals wurde dort das Wachstum von menschlichen Brustkrebs-Zellen untersucht. Die Kollegen, Ana Soto und ihr Team, kultivierten die Zellen in Reagenzgläsern aus Kunststoff und kontrollierten ihr Wachstum, indem sie Östrogene, weibliche Sexualhormone, zugaben. Zu ihrer großen Überraschung wuchsen allerdings auch Krebszellen in jenen Plastikgläsern, die überhaupt keine Östrogene enthielten. Es waren die Reagenzgläser selbst, die den Prozess ausgelöst hatten. Sie gaben Nonylphenol ab, ein industrielles Zusatzmittel, das das Plastik der Reagenzgläser stärken und schützen sollte. Eine hormonähnliche Substanz. Davon und von ähnlichen Substanzen sind übrigens Tausende von Tonnen aus der Industrieproduktion in die Umwelt und ins Wasser gelangt und verursachen vermutlich bei vielen Fischen und anderen Wasserlebewesen die Verweiblichung, die man bei den männlichen Tieren manchmal beobachtet. Es wird sogar diskutiert, dass der starke Spermienrückgang bei Männern in den westlichen Industriestaaten mit den Stoffen zusammenhängt, die den weiblichen Sexualhormonen so stark ähneln.«
    »Steadman meint damit also, dass es bei bestimmten Stoffen manchmal zu einer völlig unerwarteten Reaktion mit anderen Substanzen kommt?«, fragte Sebastian.
    »Genau. Das passiert, wie wir inzwischen wissen, viel, viel häufiger, als man denkt. Stell dir einfach mal vor, wie viele Stoffe die chemische Industrie täglich zu den schon vorhandenen Substanzen hinzufügt. Und dann sag mir mal im Voraus, wie sie unter bestimmten Umständen miteinander oder mit deinem Stoffwechsel und Hormonhaushalt reagieren!«
    »Vielleicht kommt also meine morgendliche schlechte Stimmung davon, dass sich meine Kaffeemarke nicht mit dem Spülmittelrest in der Tasse verträgt?«
    Wallroth schaute Sebastian überrascht und mit zusammengekniffenen Augen an. Er schien das alles nicht sehr witzig zu finden. Allerdings hatte Sebastian es auch nicht als Witz gemeint. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Wallroth seinen zynischen Spruch auch falsch deuten konnte.
    »Oder es hängt damit zusammen, dass du nicht ausgeschlafen hast«, antwortete Wallroth nicht sehr originell und mit einem scharfen Unterton. Er strich sich mit der Hand über das Gesicht, als wollte er Gedanken verscheuchen. Dann fuhr er ruhig fort: »Tatsächlich besteht die Gefahr, dass du dir mit der Kondensmilch aus der Dose Bisphenol A in den Kaffee kippst. Diese Dosen werden innen mit einem Plastiklack bestrichen, und aus dem kann das Zeug austreten. Und mit großer Sicherheit wirkt es ebenfalls wie ein Hormon.« Der Forscher strich mit dem Finger über den Rand seiner eigenen Kaffeetasse, die auf dem Schreibtisch stand. »Im Prinzip stellen alle neu entwickelte Stoffe ein Risiko dar. Man kann sie ja nicht in allen Kombinationen testen, die notwendig wären, um zu beweisen, dass sie ungefährlich sind. Nimm zum Beispiel die Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe, die FCKWs. Als der Wissenschaftler, der diese Moleküle entwickelt hatte, seine Erfindung vorstellte, atmete er sie als Gas ein, um zu beweisen, dass sie nicht giftig sind. Und Jahre später stellte man fest, dass sein harmloses Produkt aus den Kühlsystemen unserer Kühlschränke und aus unserenSpraydosen in die Atmosphäre gelangt und die Ozonschicht des Planeten frisst.« Wallroth seufzte und stützte den Kopf in die Hände. Ohne aufzusehen, sprach er weiter. »Wir haben unsere Substanz den Soldaten gegeben, die in der Nähe des Forschungsinstituts ihr Lager hatten. Dein Vater, Berthold und Koch waren dabei. Mir war damals häufig übel, und ich hatte Kopfschmerzen. Höhenkrankheit. Ich bin deshalb nicht mitgegangen. Steadman war ebenfalls im Labor geblieben. Ich weiß bis heute nicht, was genau passiert ist. Aber die Soldaten haben unser Mittel genommen, und dann sind sie

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