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Furor

Furor

Titel: Furor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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ausgeflippt. Vielleicht hatten sie danach oder davor etwas gegessen, etwas, in dem eine Substanz enthalten war, die mit unserem Mittel zusammengewirkt hat. Oder es war etwas in ihren Bierdosen oder im Bier selbst . . . Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls wirkte unser Medikament alles andere als beruhigend. Es hat eher eine Art Wahn ausgelöst. Sie alle sind vorübergehend durchgedreht.«
    »Habt ihr denn nicht versucht, herauszufinden, woran es lag?«, fragte Sebastian.
    »Nein. Wir haben danach alles stehen- und liegen gelassen und sind abgehauen. Die peruanische Regierung hatte natürlich nicht das geringste Interesse daran, dass etwas über den Vorfall bekannt wurde. Unsere natürlich auch nicht. Und so ist die ganze Sache vertuscht worden. Wir alle haben sehr darunter gelitten. Das kannst du mir glauben. Das Projekt ist sofort aufgegeben worden. Wir haben danach die Finger von solchen Medikamenten gelassen und uns nur noch auf Grundlagenforschung beschränkt. Koch und Berthold sind ja noch in Peru gestorben, bei einem Unfall. Das Institut hier ist kurz nach dem Unglück gegründet worden, und dein Vater, Steadman und ich haben uns auf die Forschung am Gedächtnis konzentriert. Und versucht, die Sache zu vergessen.« Er lachte hart. »Ein Paradox, über der Arbeit an der Erinnerung etwas vergessen zu wollen, was?«
    Beide waren eine Weile still und hingen ihren Gedanken nach. Dann unterbrach Sebastian das Schweigen. »Ich bin froh, dass du mir die Sache erklärt hast. Das ändert nichts am Verhältnis zu meinem Vater.«
    »Und zu mir auch nicht, hoffe ich«, sagte Wallroth. »Ich bin so schuldig oder unschuldig wie dein Vater.«
    Sebastian nickte. Er hatte genug gehört. Und er glaubte Wallroth.
    Aber ihm lag noch etwas auf dem Herzen. »Ich habe übrigens eine Frau kennen gelernt«, sagte er.
    Wallroth schaute ihn überrascht an. Dann lächelte er. »Das ist schön.«
    »Ist das nicht irgendwie unpassend, gerade jetzt, wo mein Vater gestorben ist, eine Beziehung anzufangen? Was meinst du?«, fragte Sebastian.
    Wallroth schüttelte den Kopf. »Das Leben geht weiter, Sebastian, und wenn das Mädchen dir hilft, über Christians Tod hinwegzukommen, dann ist das doch fantastisch.«
    Erleichtert verabschiedete sich Sebastian. Während er die Tür hinter sich schloss, sah er durch den Spalt, wie Wallroth den Kopf in die linke Hand stützte und vor sich auf die Tischplatte starrte, auf der die Finger seiner Rechten den Stift kreiseln ließen.

26. April, Vormittag
    Feine Regenfäden spannten sich schräg vom grauen Himmel herab, der Wind wehte sie unter die Schirme der Trauergemeinde, die sich auf dem Westfriedhof versammelt hatte. Es waren fast nur Leute erschienen, die Christian Raabe von seiner Arbeit als Wissenschaftler und Institutsleiter her gekannt hatten. Außer Sebastian gab es keine Angehörigen mehr, der Totehatte keine Geschwister gehabt und offensichtlich auch kaum jemanden, den man als Freund hätte bezeichnen können. Einige seiner Kollegen waren da, von der Ludwig-Maximilians-Universität, von den Max-Planck-Instituten, und Lannert und Wallroth natürlich, auch ein paar Presseleute. Die Vertreter der Medien notierten nur kurz, wer anwesend war, schossen ein paar Bilder und suchten sich dann ein trockenes Plätzchen. Mato und Hobbes waren selbstverständlich auch gekommen.
    Die kurze Messe fand in der Friedhofskapelle statt, vor dem verschlossenen Sarg. Dann rollte man die sterblichen Überreste auf einem Wagen hinaus zum offenen Grab. Der nasse Lehm am Grund der Grube glänzte fettig. Dann wurde der Sarg in der Erde versenkt. Christian Raabe hatte seine letzte Ruhestätte neben dem Grab seiner Frau gefunden.
    Der dünne Regen kroch unter den Kragen von Sebastians Anzugjacke. Er fühlte nicht viel. In seinem Kopf herrschte eine große Leere, als er nach der Schaufel griff, die neben den Blumengebinden und Beileidskränzen im Boden steckte. Die Erde, die er ins Grab warf, knallte dumpf auf den Sarg. Das Geräusch ging im Prasseln des Regens fast unter. Warum, fragte sich Sebastian, weine ich nicht?
    Während die Trauergäste für ihre Beileidsbekundungen an ihm vorübergingen, beobachtete Sebastian, wie die Leute ihre Schirme von der rechten in die linke Hand wechselten, um ihm ihr Mitgefühl durch Handschlag zu bekunden. Er nahm nicht wahr, wessen Hände er schüttelte, und hörte kaum, was sie sagten. Lediglich als Wallroth ihm lange die Hand drückte, ohne etwas zu sagen, schaute er auf. Der alte Freund

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