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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Manipulation und Interpretation ausgesetzt.
    Aber die »Geschichte«, die Laney dank des von mehrfachen 5-SB-Dosen herrührenden Knicks in seiner Sicht auf die Dinge entdeckte, war etwas ganz anderes. Es war jene Form, die alle Erzählungen, alle Versionen in sich enthielt; es war jenes Gebilde, das (soweit er wusste) nur er sehen konnte.
    Nachdem ihm das klar geworden war, hatte er zunächst versucht, es mit der Idoru zu teilen. Wenn man es ihr zeigte, würde sie, diese posthumane, emergente Entität, vielleicht einfach auch auf diese Weise sehen. Aber zu seiner Enttäuschung hatte sie ihm schließlich erklärt, was er da sehe, sei für sie nicht vorhanden; seine Fähigkeit, die Knotenpunkte zu erahnen, diese emergenten Systeme der Geschichte, sei ihr nicht gegeben, und sie erwarte 216
    auch nicht, sie im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung zu ent-decken. »Das ist etwas Menschliches, glaube ich«, hatte sie gesagt, als er nicht lockerlassen wollte. »Es ist das Ergebnis dessen, was du bist – biochemisch gesehen –, mit einem ganz speziellen Zug.
    Es ist wundervoll. Aber mir ist es verschlossen.«
    Und kurz darauf, als ihre wachsende Komplexität die Distanz immer größer werden ließ, die sie – wie er bereits wusste – zu Rez verspürte, war sie zu ihm gekommen und hatte ihn gebeten, die um sie selbst und um Rez herumströmenden Daten zu interpre-tieren. Und er hatte es getan, wenn auch widerstrebend, aus Liebe.
    Irgendwie hatte er gewusst, dass er dabei früher oder später von ihr Abschied nehmen würde.
    Der Strom um Rez und Rei herum war von Knotenpunkten ge-sättigt, besonders an jenen Verbindungsstellen, an denen in einem fort eigenartig verdeckte Daten aus der Ummauerten Stadt hereinströmten, diesem fast schon mythischen Anderswo ikono-klastischer Outlaws. »Warum hast du mit diesen Leuten Kontakt aufgenommen?«, hatte er sie gefragt. »Weil ich sie brauche«, hatte sie gesagt. »Ich weiß nicht, warum, aber es ist so. Die Situation verlangt es.«
    »Ohne sie«, hatte er gesagt, »wärst du vielleicht gar nicht in so einer Situation.«
    »Ich weiß.« Lächelnd.
    Doch als seine Fixierung auf Harwood immer stärker geworden war, hatte sich Laney bei seinen Ausflügen zur Insel und auf ihren gemeinsamen Streifzügen in den Datenfeldern immer un-wohler gefühlt. Es hatte fast den Anschein gehabt, als wollte er nicht, dass sie ihn so sah – seine Konzentration von innen heraus verzerrt, auf dieses eine, dieses merkwürdig banale Objekt gerichtet. Laneys Träume waren von Harwood erfüllt, von den Ge-fühlen, die mit diesem Mann verbunden waren, von der Informa-tionswolke, die er generierte. Und als er eines Morgens in dem Tokioter Hotel aufwachte, in das Lo/Rez ihn einquartiert hatten, beschloss er, nicht mehr zur Arbeit zu gehen.
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    Und irgendwann danach hatte die Idoru Tokio verlassen, wie er von Yamasaki und durch seine eigene Beobachtung des Stroms erfuhr. Er hatte seine eigenen Theorien darüber, über ihre Gespräche mit den Bürgern (sie würden auf den Terminus bestanden haben, dachte er) der digital verborgenen Ummauerten Stadt, und jetzt war sie offenkundig in San Francisco.
    Ihm war allerdings klar gewesen, dass sie dort sein würde, weil sie natürlich dort sein musste. In San Francisco, das sah er an den Konturen der Dinge, würde nämlich die Welt untergehen. Ging die Welt gerade unter. Und sie spielte dabei eine Rolle, genauso wie er, und Harwood ebenfalls.
    Etwas würde dort entschieden werden (wurde gerade dort entschieden). Und deshalb wagte er nicht zu schlafen. Deshalb musste er den makellos sauberen, übel riechenden »Anzug« mit seinen schwarz geteerten Knöcheln nach Regain und noch mehr von dem blauen Sirup losschicken.
    Jetzt, wo er über Erschöpfung hinaus ist, geht er manchmal – vielleicht nur für Sekunden, die jedoch wie Stunden oder Tage sein können – in einen neuen Seinszustand über.
    Es ist, als würde er zu einer Netzhaut, die gleichmäßig die In-nenfläche einer Kugel überzieht. Unverwandt starrt er in dieses Auge, weltweit, sieht das, womit er sieht, während von einer unsichtbaren Iris individuelle, kartenähnliche Bilder von Harwood kommen, eins nach dem anderen.
    Yamasaki hat ihm Kissen und frische Schlafsäcke gebracht, dazu Wasserflaschen und ungewohnte neue Kleider. Er ist sich dieser Dinge undeutlich bewusst, aber wenn er das Auge wird, das in sich selbst und in die unaufhörliche Abfolge der Bilder hinein-schaut, nimmt er außerhalb dieses

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