Fyn - Erben des Lichts
brachte die Pferde zum Stehen, zog die Handbremse an und drehte sich zu uns um. »Wir sind da. Ich werde mich noch heute Abend auf den Weg zu meiner Schwester machen, bevor ich morgen weiterreise.«
Brodys Hof lag noch etwa einen Tagesritt weiter östlich von Evensedge. Er hatte Verwandte in der Stadt, die ihn in den schweren Zeiten nach dem Tod seiner Frau unterstützen würden. Ich wünschte ihm von Herzen alles Gute.
Er sprang vom Bock seines Wagens und half uns, unsere Karre samt Gepäck von der Ladefläche zu hieven. Meine Beine fühlten sich an, als wären keine Knochen mehr darin, meine Muskeln brannten. Ich vermisste meine Trainingseinheiten. Mein Körper entsprach nicht mehr meinem Idealbild von … Von was eigentlich? Von einem tyrannischen Soldaten, der unschuldige Menschen tötete? Ich schüttelte den Gedanken ab. Nein, das lag weit hinter mir.
Zum Abschied las Ylenia noch einmal auf dessen Wunsch hin in Mr. Brodys Händen und bestätigte ihm erneut, dass das Schicksal es gut mit ihm meinte.
»Ihr seid ein wirklich netter Trupp«, sagte der Bauer und grinste. »Auch, wenn euer minderbemittelter Freund sehr schweigsam ist.« Er deutete auf Arc. Ich biss mir auf die Unterlippe. Hoffentlich fasste Arc es nicht als Beleidigung auf. Doch er rührte sich nicht, sondern wartete geduldig neben unserer Karre auf die Weiterreise. Ich hätte ihm das Dementi durchaus zugetraut, denn er überraschte mich immer wieder mit einer Reihe menschlicher Verhaltensweisen.
»Macht’s gut ihr drei«, sagte Mr. Brody. »Ich danke euch noch einmal für meine Rettung. Es war dumm von mir, den Tod in Erwägung zu ziehen.« Er verzog das Gesicht zu einem reumütigen Lächeln. »Schade, dass die Truppen des Nordens nicht gegen das Alvenpack gesiegt haben.«
Mir lief ein Schauder über den Rücken und ich vergewisserte mich, dass mein Hut bis über meine verräterischen Ohren reichte.
»Wenn die Gerüchte um den angeblichen Thronerben der Menschen nur wahr gewesen wären.« Brody seufzte und schüttelte leicht den Kopf. »Wir hätten ein eigenes Reich gründen oder die Alven sogar von ihrem Platz verdrängen können.«
Ylenia strich ihm mit einem gütigen Lächeln über den Arm. »Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Es geht immer irgendwie weiter. Wir müssen uns mit der Situation abfinden.«
Brody nickte und schüttelte uns allen noch einmal die Hand, ehe er sich zurück auf den Bock schwang und die Zügel knallen ließ. Binnen weniger Augenblicke verschwand er um eine Hausecke.
»Was ist eigentlich dran an dem Gerücht über den angeblichen Erben des Throns?«, fragte ich, als Brody außer Hörweite war. »Mein V… – Breanor – hat mir davon erzählt, aber niemand hielt es für nötig, mich wirklich über die Vorgänge aufzuklären.«
Ylenia stieß ein Seufzen aus. »Am Hof von Lord Awbreed wusste man auch von den Gerüchten. Ich denke, es ist, wie es immer ist mit Gerüchten: Einer fängt damit an und die anderen verbreiten es.«
»Dann glaubst du nicht an die Existenz eines Erben?«
Ylenia zuckte die Achseln. »Die Menschen waren verzweifelt. Sie haben nach einem Strohhalm gesucht, an dem sie sich festhalten konnten. Brody ist nur ein Opfer von vielen. Die Alven waren seit jeher Tyrannen.«
»Aber ich bin doch auch ein Alve.«
Ylenia lächelte und strich mir über die Wange. »Ich habe gleich bemerkt, dass du anders bist.« Ihre grünen Augen strahlten mich an. »Außerdem hast du dich doch gar nicht am Krieg beteiligt.«
Ja, aber nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil ich nicht durfte , fügte ich in Gedanken an. Ich schämte mich dafür. Dass Ylenia mir die Scheuklappen abnahm, die die Liga mir aufgezwungen hatte, machte mich froh. Ich ließ ihre Worte unkommentiert.
Evensedge bestand aus einer Ansammlung von mehr oder weniger heruntergekommenen Häusern, Marktbuden und zwielichtigen Tavernen: irgendetwas zwischen Dorf und Stadt – zu groß für ein Dorf, zu unorganisiert für eine Stadt. Das Straßennetz wies keinerlei Symmetrie auf, auch waren die Wege größtenteils nicht asphaltiert. Moderne Automobile suchte man hier vergebens. Die Menschen gingen zu Fuß oder nutzten klapprige Gespanne, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Deutlich sah ich die Spuren des Kriegs. Der Anblick abgebrannter Scheunen, eingeschlagener Scheiben und von Trümmerhaufen bescherte mir eine Gänsehaut. Breanor hatte mir erzählt, Evensedge hätte schnell und ohne viel Aufhebens kapituliert. Wenn ich mir die
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