Fyn - Erben des Lichts
wird Zeit, dass ich losfahre.«
»Sie reisen nachts?«
»In Kriegszeiten ist es nachts nicht gefährlicher als tagsüber.« Er klang beinahe amüsiert. »Zumindest muss man nachts nicht befürchten, von einem Artilleriegeschoss durchbohrt zu werden. Da schlage ich mich lieber mit Wegelagerern herum.« Ich sparte mir den Kommentar, dass der Winter erstens sämtliche Gefechte lahmgelegt hatte und zweitens unsere Feinde aus dem Norden noch nicht einmal bis nach Elvar vorgedrungen waren, geschweige denn weiter südlich. Tesmer war ein einfältiger Mann. Er hatte nicht bloß keine Ahnung von Technik, sondern augenscheinlich auch nicht von Kriegsangelegenheiten. Ich fragte mich, was Lord Nottidge dazu bewegt haben mochte, ihn als Abgesandten zum König zu schicken. Des Weiteren stellte ich mir die Frage, worüber sie gesprochen haben mochten, aber vielleicht würde ich es bald erfahren. Ich hoffte zumindest, nach Ende des Winters endlich in das Kriegsgeschehen einbezogen zu werden, immerhin hatte ich mich von meinen körperlichen Schäden längst erholt, wenn auch nicht von den seelischen.
Tesmer betätigte einen Hebel am Armaturenbrett, woraufhin ein zuvor verborgenes Faltdach herausschnellte und die Fahrerkabine umschloss. Er verabschiedete sich noch einmal mit einer Handbewegung von mir, ehe er den Motor anließ. Mit lautem Geknatter setzte sich das Auto in Bewegung und rumpelte den Kiesweg hinunter, bis es in der Dunkelheit der Nacht verschwand.
Meine Hoffnungen, als vollwertiges Mitglied der Liga anerkannt und mit bedeutsamen Aufgaben betreut zu werden, schwanden mit dem Herannahen des Frühlings. Abgesehen von der Schlichtung kleinerer Scharmützel in der Stadt, überantwortete man mir keine neuen Zuständigkeiten. Die Truppen des Königs marschierten längst wieder nach Norden – natürlich ohne mich. Im Turm blieb nur eine Notbesetzung zurück, bestehend aus älteren, kranken oder für das Wohl des Königs unentbehrlichen Soldaten. Allmählich beschlich mich das Gefühl, es handelte sich um eine Methode, mir meine Untauglichkeit vor Augen zu führen. Galren hatte immerzu behauptet, ich hätte mir meinen Platz in der Liga erschlichen, weil ich von Kindesbeinen an im Perlenturm lebte. Eine Zeit lang hatte ich es als das neidische Verhalten eines unerzogenen Wichtigtuers abgetan, doch mittlerweile regten sich auch in mir Zweifel. Ich fand immer wieder Entschuldigungen vor mir selbst, weshalb man mich nicht in die Arbeit der Liga einbezog. In der Zeit meiner Genesung hatte ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, doch jetzt, da der Frühling eingekehrt und ich wieder vollends bei Kräften war, gab es keine Ausrede mehr, mich zu schonen. Dennoch verstrichen die Tage, ohne dass mir jemand den Befehl erteilte, mich am Kriegsgeschehen zu beteiligen. Ich fühlte mich zurückgesetzt und missachtet. Ob man mir insgeheim doch die Schuld an der Vernichtung der Akademie gab? Ob man von meiner vermasselten Prüfung wusste und nur nicht den Mut besaß, mir meine Uniform wieder wegzunehmen? Ich dachte an Myrius, der zu einem wahren Einzelgänger verkommen war. Seit meiner Rückkehr aus Denfolk hatte ich ihn nur ein einziges Mal gesehen, und das auch nur von hinten auf der Treppe im Palast. Vielleicht erinnerte er sich wieder an die Geschehnisse … Ich steigerte mich in diese Vermutung hinein. Der König war nicht Manns genug, mir meine Abzeichen abzuerkennen, das musste der Grund sein, weshalb man mich mit unbedeutenden Aufgaben abspeiste. In meinem Kopf formten sich – ganz in Ingenieursmanier – mannigfaltige Lösungsmöglichkeiten für mein Problem. Eine davon beinhaltete meine heimliche Flucht aus dem Perlenturm. Ich konnte versuchen, Arbeit zu finden oder ein einsames Leben als Eremit in den Bergen zu führen. Doch solange ich noch offiziell das Weiß des Königs trug, ahndete man Fahnenflucht mit dem Tod. Vielleicht sollte ich Castios ersuchen, mich meiner Pflichten zu entbinden?
Derlei düstere Gedanken beschäftigten mich, als eines Abends die Soldaten der Liga überraschend aus einem Gefecht nahe der Grenze zurückkehrten. Ich hörte ihre Stimmen im Hof und setzte mich ans Fenster, um zu beobachten, was dort unten vor sich ging. Sie kehrten als geschlossene Gruppe zurück, inklusive Silena und Galren. Ich erblickte Vater, um dessen Mundwinkel ein zufriedenes Lächeln spielte. Generell ließ sich die Stimmung als ausgelassen beschreiben, man lachte und plauderte. Keiner von ihnen schien ernsthaft verletzt zu sein,
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