Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)
Überlegungen.“ Frau Thompson lächelte mich an. Sie war kaum größer als ich und hatte schulterlanges, strohiges Haar, das sich einfach nicht bändigen ließ. Sie färbte es immer Kastanienbraun, wie sie sagte. Meiner Meinung nach war das ein verkorkstes Rot, aber das ist ein anderes Thema.
„Das hört sich toll an, nur…“ Ich verstummte. Jedes Jahr ging die zehnte Klasse auf die Berufsmesse, um sich dort Informationen zu holen und Anregungen oder überhaupt eine Perspektive. Zehntklässler… Die hielten so eine kleine streberhafte Achtklässlerin bestimmt für nervig. Frau Thompson schien meine Gedanken zu lesen, denn sie sagte:
„Mach dir keine Gedanken wegen der anderen. Die werden viel zu beschäftigt sein mit den Ständen oder mit ihren Freunden.“ Sie lächelte, „komm schon, Fynia, das wäre gut für dich.“
„Na gut.“, antwortete ich und nickte resignierend. Ich wollte da ja hin, aber mit Zehntklässlern…?
Natürlich kam ich an dem Tag zu spät zur Schule. Der Bus hatte eine Panne ungefähr einen Kilometer vor der Schule. Die meisten Schüler freuten sich, denn das hieße, dass die erste Stunde ausfallen würde. Ich freute mich gar nicht.
Entnervt drängelte ich beim Busfahrer den Abschleppdienst oder einen Ersatzbus oder irgendwas zu rufen, damit ich noch zu der Messe mitkonnte. Meine Mitfahrer und Mitfahrerinnen fanden mein drängeln weniger gut und auch der Busfahrer wurde langsam ärgerlich.
„Sei doch froh, Mann! Dann haste frei, ist doch toll.“, rief mir ein Fünftklässler ziemlich angepisst zu.
„Erstens, ich bin kein Mann! Zweitens, ich möchte aber zur Schule und drittens...!“ Drittens war eine Kopfnuss für den frechen Burschen.
„Können Sie die Tür auf machen?“, fragte ich den Busfahrer.
„Willst du laufen? das kann ich nicht zulassen…“
„Ich kann auf mich aufpassen. Sie sind nicht mehr für mich verantwortlich, wenn ich den Bus verlasse okay?“ Ich klang gereizter, als ich wollte.
„Auf deine Verantwortung…“, erwiderte der dicke Mann endlich zögernd und öffnete die Vordertüren.
„Danke…“, hauchte ich, in der Hoffnung dann nicht allzu verbissen zu klingen.
Als ich den Bus verlassen und die Türen sich geschlossen hatten, schaute ich die Straße hinauf. Mein Ziel lag ungefähr einen Kilometer weit entfernt und ich war unglaublich unsportlich.
Fest entschlossen zog ich die Riemen meines Eastpacks fest um meine Schultern, was wahrscheinlich absolut affig aussah und rannte los. Zuerst lief ich so schnell ich konnte, dann verlangsamte ich aber meine Schritte zu einem lockeren Traben. Nach wenigen Metern stellte sich das wohlbekannte ziehen in meinen Waden ein, aber ich ignorierte es stoisch.
Die Sonne war schon länger am Himmel zu sehen und ich dankte ihr im Stillen für den milden Morgen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken mich zu verwandeln und abseits der Wege zu laufen, aber das war einfach zu riskant. Die oberste Regel im Clan: Riskiere unter keinen Umständen entdeckt zu werden!
Ich riss mich zusammen und erhöhte mein Lauftempo. Keine Wolfspfoten um den Weg zu beschleunigen, kein Wald, in dem man den Blicken der Menschen entgehen könnte.
Auf, ich schätze ungefähr der Hälfte der Strecke, klingelte mein Handy.
Ich fummelte es während des Laufens aus meiner Hosentasche, wobei ich aus meinem Rhythmus und nach wenigen Sekunden Seitenstiche bekam. Unbeirrt lief ich weiter.
„Ja?“, keuchte ich in das Telefon.
„Fynia? Was ist los bei dir?“ Ich hörte Frau Thompsons Stimme am anderen Ende. Sie musste meine Handynummer noch von der Klassenfahrt letztes Jahr haben.
„Ich… komme… Bus… hatte Platten…“
„Was? Ich versteh dich ganz schlecht. Läufst du grade? Wo bist du?“
„Auf dem… Weg… Gleich da…“ Ich sah schnell auf mein Handy um die Zeit zu sehen. Mist! Ich war schon fast 15 Minuten zu spät!
„Wir können nicht länger warten, wo bist du?“
„Ich…“ Ein Straßenschild hüpfte an meinem Sichtfeld entlang. Ich drehte schnell den Kopf und las laut: „bei der Mühlenstraße, kurz vor der Schule.“, presste ich in einem Atemzug hervor.
„Wir fahren los und holen dich dort ab. Das liegt eh auf dem Weg.“ Tut, tut, tut. Aufgelegt.
Verdattert starrte ich auf das Handy in meiner Hand. Meine Schritte wurden unwillkürlich langsamer, bis ich stehen geblieben war.
Wie dumm konnte man eigentlich sein?
Wäre ich selbst auf diese Idee gekommen, wenn auch nur auf die Idee bei meiner
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