Gabe der Jungfrau
Lamm, das es unter diesem Dach gibt, wollt Ihr Eurem Zweck opfern?«
»Nennt es, wie Ihr möchtet, Bruder. Ich benötige Eure Hilfe, und da ist mir jedes Mittel recht!«
Bruder Paul legte seinen Beutel auf den Tisch und ging zu dem Verletzten. Er besah sich die Wunde und fragte: »Wird er gesucht?«
»Was spielt das für eine Rolle?«, antwortete Hauser. Der Mönch blickte auf und erklärte mit kalten dunklen augen: »Ich behandle keine Übeltäter!«
Fassungslos wollte Hauser von ihm wissen: »Sind vor Gott nicht alle Menschen gleich?«
»Doch, aber keine Missetäter.«
Gabriel machte dem Streit ein Ende und erklärte: »Der Bursche wurde von Strauchdieben überfallen und niedergeschlagen. Er hat nichts getan!«
Bruder Paul schien nicht restlos überzeugt zu sein, doch als Peter laut stöhnte, sagte er: »Der arm muss amputiert werden – ich denke das wisst Ihr und könnt es allein erledigen. Warum habt Ihr mich also kommen lassen?«
»Weil der arm erhalten bleiben muss, einerlei, wie Ihr das bewerkstelligt. Ihr habt die nötigen Kenntnisse sowie Kräuter und das Rauschmittel, das Ihr von Eurer Wallfahrt mitgebracht habt«, erklärte Gabriel und fügte hinzu: »Eine Hand wäscht die andere!«
Bruder Paul atmete laut aus und blickte den Bader böse an. Dann entnahm er seinem Beutel mehrere kleine braune Flaschen, einen Tiegel, Paste und getrocknete Kräuter. außerdem eine bauchige Flasche, in der sich eine dunkle Flüssigkeit befand.
»Schickt den Vater des Burschen und Euren Sohn hinaus!«, befahl der Mönch dem Bader mürrisch.
Gabriel klärte ihn nicht auf, sondern sagte zu seinem Sohn
gewandt: »Fritz, bring Jacob in die Küche. annabelle soll euch ein kräftiges Frühstück zubereiten.«
Hauser blickte auf Peter, dann zu dem Mönch und zu Gabriel, der ihm zunickte. Mit rauer Stimme sagte Hauser: »Ich vertraue dir!« und folgte dem Jungen.
Annabelle war Gabriels Tochter und sehr hübsch. Blonde Haare fielen ihr in wilden Locken bis zum Gesäß. Sie hatte ebensolch graublaue augen wie ihr jüngerer Bruder und ihr Vater. Freundlich begrüßte sie den fremden Mann. Fritz wiederholte die Worte des Vaters, woraufhin das Mädchen ihnen Brot, Honig und Gerstenbrei auf den Tisch stellte. Dazu reichte sie ihrem Bruder warme Milch und Hauser warmes Bier. »Langt zu!«, forderte sie die beiden auf.
Nachdem Hauser sein Frühmahl beendet hatte, fragte das Mädchen ihn höflich, ob er ein Bad nehmen wolle. Hauser gefiel der Gedanke, sich in warmem und wohl duftendem Wasser zu aalen, doch er zögerte.
Annabelle bemerkte sein Zaudern. »Ich werde dafür sorgen, dass Ihr ungestört baden könnt. Erst zu späterer Zeit werden die Badezuber von mehreren Gästen benutzt werden.«
Zufrieden schloss Jacob Hauser die augen. Wie lange hatte er kein warmes Bad mehr genossen? Das Wasser roch angenehm nach Kräutern. annabelle hatte Handtücher und Seife bereitgelegt. Der weiße Klumpen verwandelte das Wasser in eine milchige Brühe.
Hauser erwachte, als das Wasser in dem Zuber ihm ins Gesicht schwappte. Erschrocken schnappte er nach Luft und wischte sich über die augen. Gabriel hatte sich zu ihm gesellt. Fragend blickte Hauser den Freund an, der sich das Blut von den Händen wusch.
»Bruder Paul hat gute arbeit geleistet. Wir haben die kleinen Knochensplitter entfernt und die großen zusammengefügt. Ich muss gestehen, dass ich mich nicht getraut hätte, die Wunde mit saurem Wein auszuwaschen. Doch Bruder Paul wagte es sogar, den arm mit in Wein getränkten Umschlägen zu bedecken. Zum Glück war der Bursche dank des Schlafsafts betäubt, und Bruder Paul konnte noch ungehindert Beinwell auftragen.«
»Beinwell?« Verunsichert blickte Hauser seinen Freund an.
»Wusstest du das nicht? Das Kraut heilt Knochen. allerdings darf es nicht innerlich angewendet werden, denn dann bringt es die Körpersäfte durcheinander.«
»Hm, ich war der ansicht, dass Schafgarbe oder gar der kriechende Ganser das richtige Kraut wäre. Beinwell kenne ich nur zur Behandlung von Geschwüren an den Gliedern.«
»Da siehst du, mein Guter, dass man niemals auslernt!«, feixte der Bader. Doch dann wurde er wieder ernst: »Jacob, wir haben alles getan, damit er den arm nicht verliert, aber er ist noch lange nicht über den Berg. allerdings …«, der Bader stockte einen augenblick, dann räusperte er sich und fuhr fort: »… wir wissen nicht, ob er den arm jemals wieder beugen kann.«
»Mach dir darüber keine Sorgen, Gabriel,
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