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Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Zinßmeister
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augen zu, und ihre Gedanken verloren sich im Nebel
der Träume. Sie träumte von einer riesigen weißen Wand, auf der sie alle Tiere malen durfte, die sie kannte. Sie träumte von einem Ort, an dem sie laut singen durfte und niemand sie deshalb züchtigen würde.
    Plötzlich schreckte sie hoch. Im ersten Moment wusste sie nicht, ob sie das Geräusch nur geträumt hatte. Sie setzte sich im Bett auf und wischte sich mit der Hand über die augen, um den Schlaf zu verscheuchen. Konnte sie etwas hören, oder täuschte sie sich wieder? Nein! Da waren leise Stimmen.
    Rasch stieg sie aus dem Bett und zog sich ihr Kleid über. Barfuß lief sie durch die dunkle Stube zur Tür, die sie geräuschlos öffnete.
    Auf dem Gang war es stockfinster. Nichts wies darauf hin, dass jemand wach war – kein Licht, das durch eine Ritze, kein Laut, der durch eine Tür drang.
    Anna Marias Körper versteifte sich, als sie hörte, wie die Tür zum Keller leise geschlossen wurde. Frierend verschränkte sie die arme vor der Brust. Sie hasste den Winter!
    Leise ging sie die Stiege vom Obergeschoss nach unten und lauschte an der Kellertür. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie außer dem Pochen nichts hören konnte. Vorsichtig drückte sie die Klinke und öffnete die Tür einen Spalt breit. als sie die Mutter leise weinen hörte, schloss sie die augen. Ihr Gefühl schien sie nicht getäuscht zu haben – es war etwas geschehen.
     
    Lautlos schob anna Maria sich durch die Tür, schloss sie hinter sich und blieb auf der obersten Stufe der Kellertreppe stehen. Hier konnte sie alles hören, ohne gesehen zu werden. Der Schein der Kerzen an der Wand ließ die Schatten von Vater und Mutter gespenstig tanzen.
    »Beruhige dich, Elisabeth! Sie sind wohlauf!«, hörte das Mädchen den Vater mit gedämpfter Stimme zur Mutter sagen.
    Anna Maria atmete tief aus. Doch Erleichterung wollte sich
nicht einstellen. Deshalb blieb sie wie angewurzelt stehen und lauschte angestrengt weiter.
    »Und du sagst, dass sie das Wild nicht finden können?«
    »Nein Vater, wir haben den Rehbock im Mehlbach versteckt. Äste und Wurzeln hängen an dieser Stelle ins Wasser und verdecken ihn. Niemand wird dort unsere Beute vermuten.«
    »Gut! Wir werden einige Tage warten und ihn holen, wenn sich alles beruhigt hat.«
    Das Weinen der Mutter war verstummt. Sie schniefte in ein Tuch und klagte: »Warum habt ihr euch nicht ruhig verhalten?«
    Leise, aber in hitzigem Ton antwortete Matthias: »Was hätten wir tun sollen? Er hat auf einmal vor uns gestanden und direkt geschossen. Zum Glück ist der Pfeil an mir vorbeigeschwirrt. Bevor er die armbrust nachladen konnte, habe ich ihm meinen Pfeil durch den Oberschenkel geschossen. So konnte er uns nicht folgen. Doch ich hätte den Saukerl besser umbringen sollen«, fluchtete der Junge.
    Ein Schlag und die zornige, aber verhaltene Stimme des Vaters waren zu hören.
    »Bist du vollkommen närrisch? Willst du am Galgen landen? Man löscht nicht einfach ein Menschenleben aus. Ich kenne dich, Matthias! Wolltest wohl wieder den Helden spielen. Deine Mutter hat Recht. Hättet ihr euch ruhig verhalten, wären die Leute des Grundherrn an euch vorbeigezogen, und nichts wäre passiert. Peter, hast du dazu nichts zu sagen?«
    ›Peter‹, schoss es anna Maria durch den Kopf. Ihr Herz begann zu rasen, und das ungute Gefühl verstärkte sich. Ohne zu überlegen, rannte sie die Steinstufen hinunter und sah sich nach ihrem älteren Bruder um.
    »Wo kommst du denn her? Hast wohl gelauscht, was?«, hörte das Mädchen den Vater wütend schnauben. Doch es huschte an ihm vorbei zu seinem Bruder, der bleich an der Wand lehnte. Erst jetzt bemerkten die Eltern und Mattias, dass Peters Gesicht mit
Schweiß bedeckt war. Seine Beine drohten einzuknicken, und der Vater trat vor seinen Sohn, um ihn aufzufangen. an der Stelle, an der Peter sich angelehnt hatte, war ein Blutfleck an der Wand.
    Anna Maria hörte, wie die Mutter »Jesus und Maria!« flüsterte. Wortlos fegte der Vater alles vom Tisch und legte seinen Sohn bäuchlings darauf. Peter stöhnte. Mit wenigen Griffen zerriss der Vater das Hemd des Verletzten. Mutter und Tochter pressten gleichzeitig die Fäuste vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Ein abgebrochener Pfeil ragte unterhalb des Schulterblatts hervor.
    »Dich hat der Pfeil nicht erwischt, aber deinen Bruder!«, zischte der Vater, während er die Ränder der Wunde abtastete. Peters Stöhnen wurde lauter.
    »Warum hat er nichts gesagt? Ich habe es

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