Gabe der Jungfrau
enthalten?
Anna Maria nahm sich vor, den Vater zu fragen, wenn sie mit ihm allein wäre. Jetzt, wo sie ein Geheimnis teilten, würde er ihr sicherlich auskunft geben.
Vor aufregung und anspannung zitterte der schlanke Körper des Mädchens unter der Bettdecke. Wenn das ihre Brüder wüssten – sie würden gelb vor Neid werden!
Plötzlich zuckte anna Maria zusammen. Das sonderbare Zeichen hatte sie beinahe vergessen. Das Zeichen, das auf dem verschmutzten Papierdeckel zu erkennen war. Zwei längliche
Striche, die in der Mitte mit Strich-Bogen-Strich verbunden waren. Ob das wohl auch ein Buchstabe war? auch das würde sie den Vater fragen.
Während sie noch über das merkwürdige Zeichen nachdachte, fielen ihr die augen zu. Mit einem feinen Lächeln im Gesicht schlief sie ein.
Daniel Hofmeister zog sich einen Stuhl an das Bett seiner Söhne heran und ließ sich schwer auf die Sitzfläche fallen, dass der Holzboden unter ihm laut knarrte. Erschöpft schloss er für einen Moment die augen. Hofmeister wollte nicht schlafen – noch nicht. Erst wenn er sich sicher wähnen konnte, dass Peter in tiefem Schlaf lag, würde er sich entspannen können. Das gleichmäßige atmen von Matthias und Jakob verriet ihm, dass beide Buben endlich eingeschlafen waren. Sein Ältester, Jakob, hatte noch Minuten zuvor anklagend vom Vater wissen wollen, warum man ihn nicht zu Hilfe gerufen habe. als sein Ton heftig wurde, hatte Hofmeister dem Sohn barsch befohlen, er solle Ruhe geben. Mit strengem Blick, der keine Widerworte duldete, hatte er die beiden Söhnen angewiesen, endlich zu schlafen.
Nun blickte Hofmeister auf die vier schlafenden Gesichter und hoffte aus tiefster Seele, dass Peter wieder genesen würde.
Kapitel 3
Mehlbach, 1525
Bereits zwei Tage war seine Tochter anna Maria unterwegs. Zwei Tage, in denen Daniel Hofmeister seine Kammer nicht mehr verlassen hatte – auch nicht, um etwas zu essen. Da er unwirsch
jeden hinausschickte, stellte man seine Mahlzeiten vor der Stubentür ab, doch meistens rührte er sie nicht an.
Während Hofmeister sich in seiner Kammer verkroch, dachte er an seine eigene Jugend zurück – genauso wie an die Gefahren, die in unruhigen Zeiten herrschten und denen nun drei seiner Kinder ausgesetzt waren. Da Hofmeister sie nicht beschützen konnte, betete er still für sie. auch hoffte er, dass sie den gleichen Überlebenswillen in sich spürten wie einst er selbst.
Er lachte kurz in sich hinein. als er anna Maria versprach, sich nach dem Verbleib ihrer Brüder zu erkundigen, war sein alter Kampfgeist erwacht, und mit einem Schlag hatte er sich wieder jung gefühlt.
So hatte er herausgefunden, dass Peter und Matthias nach Norden unterwegs sein mussten, und deshalb ging das Mädchen nun ebenfalls in diese Richtung.
Der Bauer wusste aus seiner Zeit als Landsknecht, dass man Neuigkeiten meist bei den Gastwirten erfahren würde. Hier trafen sich die Menschen aus allen Himmelsrichtungen und tauschten Neuigkeiten aus. Es war bekannt, dass die Wirte ihre Ohren überall hatten und so manches hörten, was anderen verborgen blieb.
Hofmeister kannte einige Gastwirte von früher, und anna Maria musste deren Namen und die Namen der Gasthäuser auswendig lernen.
»Warum muss ich diese Namen wissen?«
»Damit du die Richtigen fragen wirst, denn nur diese gehören dazu und kennen die Losung. Und wer die weiß, dem helfen sie auch.«
»Wozu gehören sie?«, fragte das Mädchen erstaunt.
»Je weniger du weißt, desto besser ist es für dich. Vertraue mir, Tochter! Doch nun merke dir Folgendes: Wenn du den Wirt aufsuchst und er den Namen bestätigt, mit dem du ihn rufst, dann flüstere ihm zu: Nichts denn Gottes Gerechtigkeit!«
Nun war anna Maria fort, und was ihm blieb, waren die Erinnerungen, die ihn einholten und ihn diesmal nicht mehr losließen. Er hatte schon so etwas befürchtet, als er die Truhe öffnete und die Glasflasche in Händen hielt. Denn in jener Nacht vor vier Jahren, als Hofmeister den Inhalt des Glasfläschchens zuletzt benötigt hatte, war es genauso gewesen. Er hatte am Bett seines verletzten Sohnes Peter Wache gehalten und über seine Vergangenheit nachgedacht.
Mehlbach 1521
Fünf gesunde Kinder hatte er gezeugt. Welch großes Glück ihm widerfahren war! aus Tradition, Dankbarkeit und tiefem Glauben hatte er seinen Kindern Namen aus dem alten Testament gegeben.
Von den fünfen war aber immer schon anna Maria, seine einzige Tochter, sein augenstern gewesen. Da Maria als
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