Gabe der Jungfrau
dass Ihr kein Schweizer, sondern ein Landsmann von mir seid. Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch ein warmes Mahl und einen Krug kühles Bier spendiere, und Ihr erzählt mir von Eurer Reise nach Jerusalem? Mit vollem Wanst lässt es sich besser wandern. Ich möchte wissen, warum Ihr eine solch gefährliche Pilgerreise unternommen habt und was Euch dabei widerfahren ist.«
Der Fremde nahm den Vorschlag an. In einer Schenke bestellte Fritz für beide eine warme Suppe mit frisch gebackenem Brot und zwei Krüge kühles Bier.
Der Fremde hieß Daniel Hofmeister und erzählte Joß Fritz bereitwillig seine Geschichte: »Ihr erinnert Euch sicherlich noch, dass vor einigen Jahren die Ernte auf den Feldern verfaulte. Es regnete unaufhaltsam, und die Nahrung für Mensch und Tier wurde rar. Die Folge war, dass die Kühe keine Milch mehr gaben, die Hühner keine Eier legten und die Speisekammern leer blieben. Zuerst starben die Tiere und die armen, dann griff der Hungertod auch bei den Wohlhabenden um sich. Einige sprachen bereits vom ›Jüngsten Gericht‹. auch unsere Speisekammern leerten sich, und die Tiere starben.«
»Seid Ihr etwa von adeliger Herkunft?«, unterbrach Joß Fritz den Pilger sogleich.
Überrascht sah dieser von seinem Mahl auf.
»Nein, natürlich nicht! Wir sind freie Bauern in Mehlbach. Das liegt in der Kurpfalz«, beteuerte der Fremde und fuhr dann mit seiner Erzählung fort.
»Mein Vater ist ein gläubiger Mann und versprach im Beisein von Freunden und Verwandten, dass er eine Dankeswallfahrt nach Jerusalem unternehmen würde, hätte Gott ein Einsehen und würde die Menschen erretten. Ohne sich über die Tragweite seines Versprechens im Klaren zu sein, war mein Vater vor dem Priester auf die Knie gefallen, hatte seine Hände zum Himmel erhoben und dieses Versprechen mit lauter Stimme wiederholt. So wurde es wirksam und konnte nicht mehr zurückgenommen werden. Und tatsächlich! Es schien, als würde das Flehen, Beten und Bitten meines Vaters erhört. Im Jahr darauf gab es eine gute Ernte, sodass die Speisekammern sich wieder füllten. Nun erwarteten alle, dass mein Vater sein Versprechen einlösen würde. Erst dann begriff er, was dies bedeuten würde. Er wäre jahrelang fort und wüsste nicht, was während seiner abwesenheit aus dem Hof würde. außerdem lauern viele Gefahren auf solch einer Reise, und kaum jemand kehrt aus der Ferne zurück. Meine Mutter jammerte tagein, tagaus, zumal
diese Wallfahrt eine große Summe Geld verschlingen würde. Doch das erwies sich als die geringste Sorge. Denn sogar unser Grundherr zeigte sich erfreut, dass uns das Jüngste Gericht verschont hatte, sodass er einen beachtlichen Betrag für die Wallfahrt spendete. Selbst der ärmste Bauer im Dorf gab seinen Teil dazu, damit mein Vater in seinem Namen um ablass im Heiligen Land bitten sollte. Doch meinen Vater ängstigte die Reise, und er zögerte sie immer wieder hinaus, bis sich Missstimmung in unserem Ort breitmachte. Jeder fürchtete, dass unser Herrgott uns für das nicht eingelöste Gelübde bestrafen würde. Natürlich hatte auch mein Vater angst, und so rang er sich endlich durch, die Pilgerreise anzutreten. Doch anscheinend hatte er zu lange gewartet. Er wurde schwer krank. Wir befürchteten das Schlimmste. Könnt Ihr Euch vorstellen, welche Ängste nicht nur meine Eltern, sondern auch die Menschen in unserem Dorf ausgestanden haben? Was blieb mir anderes übrig? Ich bin das einzige Kind, das ihnen geblieben ist.«
Daniel Hofmeister sah Joß Fritz dabei so erbärmlich an, dass dieser beschämt zu Boden blickte.
»Wenn mein Vater gestorben wäre und sein Gelübde nicht eingelöst hätte, er wäre niemals selig geworden. Ihr wisst, was das bedeutet hätte?«
Joß Fritz nickte. Verwandlung in einen Totengeist.
»Deshalb nahm ich die Pflicht meines Vaters auf mich und ging ins Heilige Land. Ich war siebzehn Jahre alt und bin sechs Jahre lang fort gewesen. Ich weiß nicht, ob mein Vater noch lebt. Doch ich weiß, dass er nicht in einen Geist verwandelt wurde, der nicht sterben kann.«
»Euer Vater kann stolz auf Euch sein! Zumal Ihr einer der wenigen seid, die diese weite und gefährliche Reise unversehrt überstanden haben«, warf Fritz nun ein.
Daniel Hofmeisters augen bekamen einen traurigen Glanz, und er starrte vor sich hin. Dann sagte er mit leiser Stimme:
»Mir bleibt nicht viel Zeit. Etwas wächst in meinem Bauch und frisst mich auf.«
Erschrocken sah Fritz auf.
»Wie wollt Ihr das wissen?«
Mit
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