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Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Zinßmeister
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alleiniger Vorname eher ungewöhnlich war, hatte er sie anna Maria taufen lassen. Der Namen anna bedeutete Liebreiz, und liebreizend war seine Tochter wahrhaftig. auch hatte sie die Schönheit und die honigfarbenen Haare seiner Mutter. Zwar hatte er seine Mutter verehrt, doch ihre außergewöhnliche Fähigkeit war ihm stets unheimlich geblieben, und er hoffte inständig, dass seine Mutter sie nicht an anna Maria vererbt hatte.
    Eines schien Hofmeister sicher: Wenn seine Tochter erst einmal im heiratsfähigen alter war, würde sie eines der begehrtesten Mädchen weit und breit sein.
    Bei den Gedanken an seine Familie verzog Daniel Hofmeister betrübt sein Gesicht. Viel zu oft hatte er seine Frau und seine fünf Kinder allein gelassen. Das hatte er bei jedem abschied gewusst.
    Hofmeister kratzte sich am Hinterkopf und stützte seine Ellenbogen auf die Knie.

    Niemand im Dorf wusste, dass er sich schon seit einiger Zeit immer mehr Martin Luther zuwandte und die alte Kirche ablehnte. Früher war er blind dem traditionellen Glauben gefolgt, hätte für ihn gekämpft und jeden mit Worten bedroht, der nur eine Silbe gegen die Kirche geäußert hätte. Früher – das war lange her. Niemand in seinem Umfeld wusste, dass er mittlerweile nur zum Schein ein gläubiger Katholik war. Luther war derjenige, dem er nun folgte. Die Lehren des Reformators hatten schon lange Zweifel am alten Glauben in Hofmeister geweckt und ihn zum Grübeln gebracht. Doch das durfte niemand wissen. Zwar wurde im Wirtshaus lautstark über Luther geredet, aber seiner Lehre offen zuzustimmen wagte keiner – noch!
     
    Hofmeister holte tief Luft. Er musste sich auf den nächsten Morgen vorbereiten. Er wusste, was anderntags passieren würde. Der Grundherr würde nach den Wilddieben suchen lassen. Das Jagen war den einfachen Menschen ebenso untersagt wie das Fischen. Jeder wurde streng bestraft, der dieses Gebot missachtete. Die hohen Herren würden die Gelegenheit sofort ergreifen, um wieder einmal zu zeigen, wie gering sie die kleinen Leute schätzten. Wie oft hatte Hofmeister gesehen, wie man Kleine hängte und Große laufen ließ. aber er würde ihnen wieder einen Schritt voraus sein! Das war schon vor Jahren sein Vorteil gewesen. Hofmeister schätzte sich glücklich, dass ihn bislang niemand hatte fassen können. Wenn die Leute im Dorf wüssten, wer hier unter ihnen lebte, wäre er dann seines Lebens sicher?
    Der Bauer fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte Haar. Manchmal gab es Verkettungen im Leben, die man nicht beeinflussen konnte. So wie heute: Wegen Peters Unfall musste anna Maria die Truhe öffnen, in die Hofmeisters Vergangenheit mitsamt der Glasflasche weggesperrt war. Und nun kamen die Erinnerungen wie Donnerschläge zurück.

    Erst jetzt wurde Hofmeister bewusst, dass er schon lange nicht mehr über seine Vergangenheit nachgedacht hatte. Leicht, sehr leicht hatte er sich in ein fremdes Leben eingefügt, das sein Leben geworden war.
     
    Hofmeister lehnte sich zurück und streckte die Beine von sich. auch wenn er entspannt wirkte, so tobte doch in seinem Inneren ein Sturm der Gefühle. Er musste einsehen, dass er seine Gedanken nicht fortschieben konnte. Und deshalb erlaubte er es sich zum ersten Mal seit langem, wieder an den Mann zu denken, dessen Platz er vor vielen Sommern eingenommen hatte. Dachte an diesen Fremden, der in seinen armen gestorben war – dachte an den wahren Daniel Hofmeister.
    Es war ursprünglich nicht seine absicht gewesen, in dem Dorf von Daniel Hofmeister sesshaft zu werden. Er wollte lediglich das Versprechen einlösen, das er einem Sterbenden gegeben hatte – wollte Hofmeisters Eltern die traurige Nachricht überbringen, dass ihr Sohn in der Fremde gestorben war – doch dann kam alles anders, und er hatte beschlossen, sich selbst als Daniel Hofmeister auszugeben. Er, der bis zu diesem Zeitpunkt Joß Fritz geheißen hatte.

    1493 Basel
    Als man Johann Ullmanns arme und Beine zum Vierteilen mit Stricken an die Pferde band, war der Verurteilte noch am Leben, was selbst den Scharfrichter erstaunte. Kurz zuvor hatte man dem Gezeichneten mit einem scharfen Messer den Bauchraum geöffnet und ihm die Gedärme herausgerissen, die nun stinkend im Feuer verbrannten.
    Der Henker sah fragend zum Richter und hob gleichzeitig das Schwert mit beiden Händen, bereit, dem Verdammten den
Kopf abzuschlagen und ihn von den Höllenqualen zu erlösen. Doch der Richter schüttelte unbarmherzig den Kopf. Schon bei der

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