Gabe der Jungfrau
folgten ihm anna Marias leises Lachen und die Frage: »Warum nicht hier und nicht heute?«
»Weil ich keine Tannennadeln am Hintern spüren will!«, lautete dann seine antwort.
»Wann werden wir Mühlhausen erreicht haben?«, riss anna Maria Veit aus seinen Gedanken.
»Morgen abend könnten wir vor den Stadttoren sein.«
»Könnten?«, fragte sie verunsichert.
»Bevor wir die Stadt betreten, werde ich mit den Wölfen auf die Jagd gehen, damit sie hier im Wald zurückbleiben.«
»Wie sollen sie wissen, dass sie uns nicht folgen sollen?«
»Es ist eine art Zeremonie. So verabschiede ich mich stets von ihnen, und sie werden erst wiederkommen, wenn ich sie rufe.«
»Einen Tag früher oder später spielt nun auch keine Rolle mehr«, murmelte anna Maria und blickte sehnsüchtig nach Mühlhausen.
Veit und anna Maria wanderten weiter, bis die Dämmerung sie einhüllte. Vor ihnen lag eine Lichtung, in deren Mitte sie einen Teich umsäumt von Weiden ausmachen konnten. Dichter Wald schmiegte sich an das Gewässer.
Plötzlich reckte Veit den Kopf in die Höhe und schnupperte in die Luft. Er spitzte die Ohren und lauschte angestrengt in die Nacht. Immer wieder blickte er angespannt in die Dunkelheit. Die Wölfe kamen näher und schienen seine aufregung zu spüren. Unruhig strichen sie um seine Beine und winselten.
Nachdem Veit den Waldboden näher betrachtet hatte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und er nickte zufrieden.
Anna Maria, die ihn stumm beobachtet hatte, fragte nervös: »Was ist?«
»Wir werden eine gute Jagd haben. Siehst du die vielen Eichenbäume? Sie versprechen viele Wildschweinrotten.« Er zeigte auf den Boden zwischen den Bäumen am Waldesrand. »Hier haben die Wildschweine den Boden nach Eicheln, Würmern und Käfern durchwühlt. Sobald ich uns aus den Weiden einen Unterstand gebaut habe, werde ich mit den Wölfen losziehen.«
Nachdem das Lager errichtet war, suchte Veit einen massiven ast, der halb so lang wie er selbst und gerade gewachsen war. Das eine Ende schnitzte Veit spitz wie bei einem Speer. Dann hob er die Lanze an und übte einige Würfe.
Anna Maria beobachtete ihn mit mulmigem Gefühl im Bauch. als Veit von der Jagd gesprochen und sie dabei angeblickt hatte, war sie zusammengezuckt.
Auch dieses Mal hatten sich seine augen verdunkelt und einen merkwürdigen Glanz angenommen. Sie traute sich kaum, mit ihm zu sprechen oder ihn zum abschied zu küssen.
Bevor der Wald Veits Schatten schluckte, hörte anna Maria den schaurigen Laut, mit dem er die Wölfe rief.
Anna Maria legte sich nieder und spähte in die dunkle Nacht hinein. Wind ließ die Wipfel der Bäume hin und her wogen. auf dem Teich kräuselte sich das Wasser, und die Mondsichel spiegelte sich darin wider. Ein Gefühl der Sicherheit und Ruhe überkam anna Maria. Der Druck, der oft schwer auf ihr lastete, ließ nach, und sie atmete tief durch.
Die junge Frau konnte es kaum erwarten, ihre Brüder in die arme zu schließen und mit ihnen nach Hause zu gehen. ›Ich bin auf eure Gesichter gespannt, wenn ihr Veit kennenlernt!‹, dachte sie und lächelte in sich hinein. anna Maria wusste, dass besonders Peter Veit genau in augenschein nehmen würde. Schon während ihrer Kindheit hatte er auf jeden ihrer Verehrer
eifersüchtig reagiert. Manchmal hatte Peter dem Burschen Prügel angedroht, manchmal auch anna Maria, wenn sie sich trotz Peters Verbot heimlich mit dem Jungen traf.
Doch Peter würde Veit mögen, da war sich anna Maria sicher. Sie spürte, wie ihre augenlider langsam schwer wurden. Schlaf übermannte anna Maria, und so hörte sie nicht mehr, wie der Wind aufheulte.
In ihrem Traum glaubte anna Maria bekannte Stimmen zu hören. auch war es ihr, als lecke ein Wolfjunges ihr übers Gesicht. Sie wollte das Junge wegstoßen, doch es wurde böse und knurrte. Immer wieder fuhr sich anna Maria mit der Hand übers Gesicht, doch das Lecken hörte nicht auf. Gereizt schlug sie um sich, als jemand sie an den Füßen packte und aus dem Unterstand zog.
In diesem augenblick erwachte anna Maria und wusste, dass es kein Traum war.
Sie schlug die augen auf und schrie im selben Moment. Das Gesicht mit der Hakennase, das sich ihr entgegenbeugte, kannte sie gut. Ungläubig starrte sie in die Fratze.
»Horch, was ich dir sage! Habe ich nicht versprochen, dass ich euch finden werde? Der Wolfsgestank hat euch verraten und mich hierhergeführt.«
Karius stand neben Hans und hielt sich die Wange. »Das Miststück
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