Gabe der Jungfrau
riechen. Ein Feld aus erkalteter asche erzählte von Tausenden von Männern an unzähligen Lagerfeuern. Zuhauf lagen Tierkadaver und abgenagte Knochen auf den Lagerplätzen herum. Leere Bierund Weinfässer waren zurückgelassen worden, und hier und da lag ein vergessenes Schwert oder steckte eine Lanze im Boden.
Frauen aus den umliegenden Ortschaften durchsuchten die Lagerstätten nach verwertbaren Resten, um ihre Kinder zu versorgen. Ihre Männer hatten sich den aufständischen angeschlossen und ihre Familien im Stich gelassen.
Immer wieder konnten Veit und anna Maria beobachteten, dass Bäuerinnen sich wie räudige Hunde um einen Knochen
stritten, an dem noch etwas Fleisch hing. anna Maria wurde immer stiller, je länger sie über die Stätten der Verwüstung ritten.
Keiner, dem die beiden unterwegs begegneten, konnte auskunft geben, wohin der Mühlhauser Haufen marschiert war. So ritten Veit und anna Maria kreuz und quer über das Eichsfeld, bis sie schließlich Mitte Mai in der Nähe von Nordhausen erfuhren, dass Müntzer mit seinen Mannen zurück nach Mühlhausen gezogen war.
»Jetzt werden wir deine Brüder sicherlich finden«, sagte Veit und trat seinem Pferd in die Flanke.
»Sag, dass es nicht stimmt!«, schrie anna Maria und sah Veit entgeistert an. Er wusste nicht, was er antworten sollte. abgekämpft waren sie wieder in Mühlhausen angekommen und sogleich zum Haus des Baders geeilt. Doch dort mussten sie erfahren, dass sich Müntzer nur kurz in Mühlhausen aufgehalten hatte und vor mehreren Tagen mit wenigen Hundert Mann nach Frankenhausen aufgebrochen war. Und auch Peter und Matthias hatten in begleitet.
Wie ein Häufchen Elend saß anna Maria auf einem Schemel in der Küche und konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Mitfühlend stellte annabelle ihr eine Schüssel mit warmer Hühnerbrühe auf den Tisch. »Hier, trink! Das wird deine Nerven beruhigen.«
Mit zittrigen Fingern führte anna Maria die Schüssel zum Mund. Veit nickte annabelle dankbar zu und fragte dann den Bader: »Unterwegs hörten wir stets, dass Müntzer mehrere Tausend Männer bei sich hätte. Warum sind jetzt nur wenige Hundert mit ihm gezogen, um den Frankenhausern zu helfen?«
Der Bader zuckte mit den Schultern. »Genaues weiß ich nicht, aber es gibt verschiedene Gerüchte darüber. Ein Teil der
Männer soll gemeutert haben, da die Beute zu gering ausgefallen sei. Statt die Wertsachen den Rebellen zu überlassen, mussten sie für Nahrungsmittel eingetauscht werden. anderen soll der lange Marsch durchs Eichsfeld in die Knochen gefahren sein. auch schürte das Ereignis in Eisenach die angst vor den Fürsten, denn man sagt, Landgraf Philipp rüste zum Marsch gegen Mühlhausen.« Veit sah den Bader fragend an, und der beschrieb ihm in drastischen Worten die Enthauptung von Sippel und seinen Mannen. Dann fügte er hinzu: »außerdem wird gemunkelt, dass Pfeiffer und Müntzer sich zerstritten hätten. Pfeiffer will Mühlhausen beschützen und Müntzer sein Versprechen einlösen. Deshalb hätten sie sich getrennt.«
Veit stützte beide Ellenbogen auf die Tischplatte und vergrub sein Gesicht in den Händen. »Was sollen wir jetzt machen?«, fragte er und blickte anna Maria an.
Kreidebleich saß sie ihm gegenüber. Er konnte sehen, wie die letzte Kraft, die letzte Hoffnung aus ihrem Körper wich. Beide hatten jeden Tag auf dem Eichsfeld gehofft, dass ihre Suche bald zu Ende sein würde. Doch bei jedem weiteren verlassenen Lager, auf das sie stießen, wurde die Enttäuschung größer.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte anna Maria. »Ich bin müde und will heute keine Entscheidung mehr treffen müssen. Ich möchte nur schlafen, um endlich aus diesem alptraum zu erwachen.«
Nachdem annabelle Veit versprochen hatte, sich um anna Maria zu kümmern, gingen er und der Bader in das Gasthaus, in dem Heinrich Pfeiffer häufig verkehrte.
Tatsächlich trafen sie ihn dort an, und als Veit Peters und Matthias’ Namen erwähnte, erhielt er Gelegenheit, anna Marias Geschichte zu erzählen. Geduldig hörte Pfeiffer zu und fragte dann: »Ich verstehe nicht, was Ihr von mir verlangt?«
»Ich möchte von Euch wissen, ob Ihr Müntzer bald zurückerwartet, oder ob er in Frankenhausen verweilen wird.«
»Junger Freund! Müntzer wird bis zum bitteren Ende in Frankenhausen kämpfen. Ich hatte ihm geraten, in Mühlhausen zu bleiben, um die Stadt zu schützen. Doch er wollte nicht auf mich hören. Stattdessen versuchte er mich zu
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