Gabe der Jungfrau
und der ist auf der Seite der Gerechten!‹
Mit diesen Gedanken ging er den Eisenschlüssel holen und verbannte die Glasflasche und seine Vergangenheit erneut in die Truhe; und aus Joß Fritz wurde wieder Daniel Hofmeister.
Kapitel 4
Bereits am zweiten Tag suchte anna Maria eines der Gasthäuser auf, deren Namen sie auswendig gelernt hatte.
Ängstlich ging das Mädchen in die dunkle Spelunke hinein. Schon an der Tür schlug ihm der Mief der unzähligen Gestalten entgegen, die im Schankraum herumlungerten. Ein Raunen ging durch die anwesenden, als anna Maria sich an die Theke stellte. Bevor sie ein Wort sagen konnte, gesellte sich ein dicker Landsknecht zu ihr und flüsterte ihr unanständige Worte ins Ohr, sodass sie vor Scham rot im Gesicht wurde. Wütend hob anna Maria den Pilgerstab und rief ungehalten: »Habt Ihr keine achtung vor einem Weib, das für die armen Seelen betet.«
Er lachte laut auf. Dabei konnte anna Maria die verfaulten Zahnstummel in seinem Mund erkennen und wollte sich angewidert wegdrehen. Doch der Landsknecht packte sie an den Schultern und zog sie zu sich heran.
»Du bist ein dummes Weib! Weißt du nicht, was Luther sagt? Deine Wallfahrt bringt dir und den armen Seelen nichts, gar nichts! also zier dich nicht und komm her. Ich hatte schon ewig keine Frau mehr unter mir.«
Als er ihr an die Brust fassen wollte, schlug sie ihm den dicken Knauf des Pilgerstabs gegen die Stirn, sodass er laut aufjaulte. Die übrigen Männer lachten und verspotteten ihn, was den Dicken wütend machte. Mit Gewalt nahm er anna Maria den Stab aus der Hand und warf ihn verächtlich auf den Boden. Dann versuchte er sie an den Haaren durch die Schankstube zu schleifen.
»Na warte, du Miststück! Das wirst du mir büßen!«
Verzweifelt versuchte anna Maria zu kratzen und zu beißen, doch der Dicke war stärker. Die angetrunkenen Männer grölten und forderten ihn lachend auf, es dem Frauenzimmer richtig zu besorgen. Niemand half anna Maria, und sie hielt ihre Lage schon für aussichtslos. Doch plötzlich dröhnte eine tiefe Stimme durch den Schankraum: »Lass sie los!«
Sogleich verstummten alle. Der Dicke ließ erschrocken von ihr ab und trat einige Schritte zurück. Dann sagte er mürrisch: »Willst sie wohl für dich haben, Kilian!«
»Halt’s Maul, und mach, dass du fortkommst, Heiner!«
Der Mann mit Namen Kilian hob den Pilgerstab auf und ging damit auf anna Maria zu. Sie glaubte zunächst, dass er sie damit schlagen wolle, aber er fasste sie nur am Oberarm und zog sie unter lautem Geschrei zur Tür. Mutig versuchte sich anna Maria zu wehren, doch der Fremde gab ihr vor allen eine kräftige Ohrfeige, die sie aufheulen ließ und ihre Gegenwehr brach. Noch draußen vor dem Wirtshaus konnte man das Gelächter und die Häme der Männer hören.
Erst in einer etwas weiter gelegenen Scheune ließ der Fremde anna Maria los. Verängstigt versuchte sie zu fliehen.
»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Die Meute wartet
nur darauf, dass ich mit dir fertig bin, um dann über dich herzufallen.«
Anna Maria spürte, dass es kein Entrinnen gab. Das Blut schien aus ihrem Körper zu entweichen. Ihre Beine gaben nach, und sie wäre gefallen, hätte der Fremde sie nicht aufgefangen.
Die augen vor Entsetzen geweitet starrte sie ihn an. Doch er strich ihr nur behutsam das Haar aus der Stirn. Dabei bemerkte anna Maria, dass dem Fremden der Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand fehlten. Sie begann zu zittern und betete im Stillen, dass es schnell vorbei sein würde. Doch der Mann ließ sie los. Er betrachtete den Pilgerstab und fragte sie mit durchdringendem Blick: »Woher hast du diesen Stab?«
»Von meinem Vater!«
Zweifelnd sah er sie an. »Sein Name?«
Als sie nichts sagte, ging er einige Schritte auf sie zu.
»Höre, Mädchen! Wenn du mir nicht antworten willst, dann werde ich dich nehmen und das machen, was nach mir noch einige andere mit dir tun werden – so lange, bis wir morgen weiterziehen. Niemand wird dir helfen, und du bleibst geschändet zurück. Oder aber du sagst mir, wer du bist, und dann werden wir weitersehen.«
Anna Maria schluckte schwer, dann entgegnete sie mit leiser Stimme: »Mein Vater heißt Daniel Hofmeister.«
»Daniel Hofmeister«, wiederholte der Fremde und schien zu überlegen. »Den Namen habe ich noch nie gehört.«
Vorsichtig fragte anna Maria: »Warum solltet Ihr meinen Vater kennen?«
Der Fremde antwortete nicht, sondern starrte sie nur weiter durchdringend an.
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