Gabe der Jungfrau
noch vorzeigen dürfe.
Peter aber hatte der Vater ins Vertrauen gezogen und ihm erklärt, dass er diese Fahnen schwenken sollte, sobald sie sich in wahrer Gefahr befänden.
»Woran erkenne ich eine wahre Gefahr?«, hatte Peter wissen wollen. Verblüfft über diese Frage hatte Hofmeister geantwortet: »Wenn es um Leben oder Tod geht!«
Erschrocken wollte Peter daraufhin mehr über die Fahne erfahren, doch Hofmeister beendete das Gespräch, indem er seinen Sohn schroff anwies, keine weiteren Fragen zu stellen. In
diesem augenblick war dem Vater schmerzlich bewusst geworden, wie wenig seine beiden Söhne von dem Kampf da draußen wussten, dem Kampf, den auch er einst gekämpft hatte.
Aufgeschreckt durch die Warnung des Vaters hatte Peter indes versucht, sich ohne seinen jüngeren Bruder Matthias auf den Weg zu machen. aber der wollte davon nichts wissen. Obwohl sich Hofmeister der Gefahr bewusst war, hatte er beide ziehen lassen – so wie auch andere Väter ihre Söhne losschickten, um für Rechte zu kämpfen, die man ihnen verwehrte. Obwohl seine Familie gewisse Rechte hatte und es ihnen an wenig mangelte, war Hofmeister selbst nicht blind und beobachtete seit Jahren die Ungerechtigkeit und das Elend um ihn herum. auch war er sich dessen bewusst, was die armen Menschen am Leben zu erhalten schien. Es war ihre Zuversicht!
Wie wenig die armen zu essen hatten, wie schlecht sie entlohnt wurden und wie sehr man ihre Rechte beschnitt, nie verloren sie die Hoffnung auf bessere Zeiten und auf einen gerechten Gott.
Auch erkannte Hofmeister, wie die Missstimmung um ihn herum größer wurde, da die Grundherren den armen Bauern selbst das Wenige vorenthielten, was ihnen zustand. Die Kirche aber machte die unwissenden Menschen folgsam, indem sie die angst vor einem strafenden Gott schürte.
Erst vor wenigen Jahren drang die Kunde eines augustinermönchs namens Martin Luther zu den einfachen Menschen, eine Kunde, die vom aufbegehren gegen Kaiser und Klerus handelte. Und es war dieser fromme Mann, der erklärte, dass sich auch die römische Kirche in manchen Belangen irren könne.
Wenige getrauten sich anfangs, sich öffentlich zu Martin Luther zu bekennen, und auch Hofmeister verschwieg lange, dass er sich mit den Lehren des Mönchs beschäftigte. Bis zu jenem Tag vor vier Jahren, der zu einem Wendepunkt in seinem Leben werden sollte.
Mehlbach 1521
Die kurpfälzische Gemeinde Mehlbach, in der nur elf Familien lebten, war von drei Seiten mit Wald umgeben. Die wenigen Einwohner des kleinen Orts arbeiteten in der Landwirtschaft und hatten gerade so viel auskommen, dass sie davon leben und die abgaben an die Herrschaft Sickingen zahlen konnten. Um den Ertrag zu steigern, überlegte man, die Ödungen, die mitten in der anbaufläche lagen, ebenfalls zu bewirtschaften. aus diesem Grund wollten die Bauern sich im einzigen Gasthaus der Umgebung zusammensetzen und darüber beraten.
Als Hofmeister sein Pferd auf den Weg hinters Haus führte, zog er fröstelnd den Umhang aus grober Wolle enger um die Schultern. Obwohl es schon Ende März war und die Tage länger wurden, war der Winter noch immer nicht vorbei. Das meinten vor allem die älteren Bauern und prophezeiten weitere kalte Wochen.
›Hoffentlich kommt kein Frost mehr‹, dachte Hofmeister, denn er wollte mit der Feldarbeit beginnen. allerdings war der Boden noch so hart gefroren, dass kein Pflug durchkam. Er wollte sich in diesem Frühjahr nicht wie schon einmal zuvor von seiner Ungeduld leiten lassen und den Fehler machen, mit dem Pflügen zu beginnen, obwohl der Boden noch nicht vollständig aufgetaut war. Das Ergebnis waren damals ein gebrochener Pflug und erschöpftes Vieh gewesen.
Auf der Höhe, die nach Katzweiler führte, erfasste Hofmeister ein milder Luftzug, der seinen Umhang aufblähte und seinen Körper umschmeichelte. Er streckte dem Lüftchen sein Gesicht entgegen und schnupperte.
»Ich kann dich riechen«, flüsterte er. »Du bist nicht mehr weit.« Erfreut trat er seinem Pferd in die Flanken. Der Gedanke,
dass allen Unkenrufen zum Trotz der Frühling im anmarsch war, hob seine Stimmung.
Im Wirtshaus des alten Christmann saßen nicht nur Bauern aus Mehlbach, sondern auch aus Schalodenbach und Katzweiler zusammen. Stickige Luft schlug Hofmeister entgegen, als er den düsteren Raum betrat. Der kahlköpfige Wirt stand hinter der Theke und schaute zu ihm herüber. Einige Männer waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie Hofmeisters
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