Gabe der Jungfrau
Priester oder ein adeliger -, verrät Gott selbst. Weg mit allen menschlichen Gesetzen! Nur das Gesetz Gottes aus der Bibel zählt!«
Vor aufregung bildeten sich rote Flecken in Wendels Gesicht. anna Maria hatte aufmerksam zugehört, doch ihr fragender Blick verriet, dass sie seine Erklärung nicht verstanden hatte.
»Im Evangelium«, erklärte Wendel nun ruhig weiter, »kann man es nachlesen, das allgemein gültige Recht für alle. Diesem ›Göttlichen Gesetz‹ kann sich kein Bischof oder abt und kein adeliger Herr widersetzen. Ich hoffe, dass die Bauern endlich das erlangen werden, was man ihnen seit ewigen Zeiten verweigert. Dann war unser Kampf und der Tod vieler unserer Mitstreiter nicht umsonst.«
Nach einigen augenblicken des Schweigens, wagte anna Maria erneut zu fragen: »Wer seid ihr? Nun sagt schon!«
Doch beide Männer sahen anna Maria nur stumm an.
Das Mädchen spürte, dass es keine antwort erhalten würde,
und erklärte deshalb: »Ich muss meinen Brüdern folgen. Vielleicht kann ich sie einholen.« Hannes und Wendel schienen ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, denn sie starrten ohne Regung vor sich hin.
»Welche Richtung muss ich einschlagen?«, fragte anna Maria, als keiner der beiden etwas sagte. Erst jetzt schienen die Männer aus ihren Gedanken zu erwachen, und Wendel erklärte ihr den Weg.
»Dann muss ich jetzt in die entgegengesetzte Richtung weiterziehen«, schlussfolgerte das Mädchen nachdenklich. »Gibt es denn keine abkürzung, die mich schneller ins Elsass bringt?« Hastig verneinte Wendel, doch anna Maria hatte den kurzen Blick bemerkt, den er Hannes zugeworfen hatte.
»Sagt, was stimmt nicht?«, wollte sie wissen.
»Es ist alles in bester Ordnung, mein Kind. Leider haben wir kein Pferd, das wir dir geben könnten«, fügte Götze hinzu, doch anna Maria spürte, dass mehr hinter seinen Worten stecken musste.
»Vielen Dank, aber euer Pferd würde mir nichts nützen, denn ich kann nicht reiten. außerdem habe ich angst vor Pferden.«
»Eine Bauerntochter, die sich vor Pferden fürchtet?«, fragte Hannes ungläubig. anna Maria zögerte einen augenblick, erzählte dann aber: »Mein Bruder Jakob wäre beinahe ums Leben gekommen, weil ein Pferd ihn mitgeschleift hatte. Seitdem gehe ich diesen Vierbeinern aus dem Weg. Doch lenkt nicht ab! Ich weiß doch, dass ihr mir etwas verschweigt.«
Statt einer Erklärung schickte Hannes anna Maria in die Küche, wo sie sich Verpflegung für die nächsten Tage einpacken lassen sollte.
Mürrisch befolgte das Mädchen die anweisung, doch auf dem Weg zur Küche konnte sie hören, wie die beiden Männer miteinander stritten.
Mit einem Bündel gefüllt mit Brot, Wurst, Käse und Äpfeln
kam anna Maria zurück. Götze schien schlechter Laune zu sein, und die Flecken hatten sich von Wendels Gesicht nun auch auf seinen Hals ausgebreitet. Fragend blickte anna Maria die Männer an, doch beide wichen ihrem Blick aus. Da es bereits früher Nachmittag war, bedankte sie sich für die Hilfe, legte den Pilgerumhang um, nahm den Stab auf, öffnete die Gaststubentür und ging hinaus. Doch bevor die Tür ins Schloss fiel, hörte anna Maria, wie Götze nach ihr rief. Hoffnungsvoll wandte sie sich um und ging zurück nach drinnen. Der Wirt machte ihr ein Zeichen, sich noch einmal zu ihnen zu setzen. Sein Gesichtsausdruck war unverändert mürrisch, Wendel hingegen schien sich zu freuen. Erwartungsvoll nahm anna Maria Platz.
»Jetzt sag es ihr, schließlich war es dein Vorschlag«, schimpfte Götze.
Wendel zwinkerte anna Maria zu. »Es gibt tatsächlich eine abkürzung, mit der du mehrere Tage einsparen kannst. Statt den Wald zu umgehen, gehst du mitten hindurch.«
»Warum habt ihr das denn nicht gleich gesagt?«, rief anna Maria erfreut aus.
Wendel wischte sich verlegen über die Stirn und schaute zu Götze, der seinen Blick wütend erwiderte.
»anna Maria, dieser Wald ist gefährlich!« Zögerlich fügte Wendel hinzu: »In ihm liegt die Wolfsschlucht.«
»Deshalb wollte ich dir nichts von der abkürzung erzählen«, erklärte Götze aufgebracht. »aber Wendel ist der ansicht, dass du es schaffen könntest, vorausgesetzt, du bleibst auf dem Schmugglerweg.«
»Wolfsschlucht, Schmugglerweg!«, wisperte das Mädchen, ihre Vorfreude schien wie verflogen.
»Anna Maria, es wird nicht einfach werden, aber nur so kann es dir gelingen, deine Brüder bald einzuholen. Keiner durchquert den Wald, der den Weg nicht kennt, Wilderer und
Schmuggler aber benutzen ihn
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