Gabe der Jungfrau
versprochen war.
Grübelnd saß der Bauer auf der Matratze und starrte auf den Boden. Was war aus seinem Leben geworden? Die Familie Hofmeister, die von vielen beneidet wurde, gab es so nicht mehr. alles war aus den Fugen geraten, und er hatte keine Gewalt mehr darüber, was geschah.
Seine Frau war seit zwei Jahren tot, und drei seiner Kinder waren fort. Seit der älteste Sohn diese Fremde angeschleppt hatte, sprach er mit ihm nur noch das Nötigste, und sein jüngster Sohn Nikolaus war nicht so geraten, wie er ihn sich gewünscht hatte. Er, der einst versucht hatte, die Welt zu verändern, saß in dem kleinen Ort Mehlbach unnütz auf seinem Hof herum und hing Erinnerungen nach.
»Ach, Elisabeth!«, flüsterte er leise. »Wenn wenigstens du noch bei mir wärst.«
Wieder holten ihn lang vergessene Ereignisse in Gedanken ein. Besonders das große Schlachtfest vor einigen Jahren war in seiner Erinnerung haften geblieben. Denn in jener Nacht war es gewesen, dass die Treiber des Grundherrn seinen Sohn Peter beim Wildern angeschossen hatten. Doch zum Glück hatte der Bursche sich unerkannt nach Hause schleppen können.
Hofmeister hatte damals gewusst, dass der Grundherr die Gehöfte in der näheren Umgebung nach dem Wilddieb absuchen lassen würde. Deshalb hatte der Bauer sich einen Plan zurechtgelegt.
Mehlbach, November 1520
Gegen Mittag zog der Duft von frisch gebrühten Würsten über den Hofmeister-Hof. Der alte Knecht Seppel leckte sich hungrig die rissigen Lippen und flachste: »Hoffentlich sind viele Würste geplatzt.«
»Red nicht so dumm daher!«, schnaubte Hofmeister. »Willst wohl im Winter schon recht bald Hunger leiden? Schau lieber, dass wir im Kamin genügend Rauch haben.«
Mit einer abwertenden Handbewegung schlurfte der alte Seppel hinüber zum Schuppen, um weitere Holzspäne zu holen. Schon seit Tagen freute er sich auf die Wurstsuppe und würde sich durch den Tadel des Bauern die Vorfreude nicht verderben lassen. In Gedanken sah er schon die leckere Wurstfüllung im Brühwasser schwimmen. Die Suppe angereichert mit Gewürzen, Karotten, Kohl und Winterrüben würde seinen Bauch wärmen. als er die Holzspäne in die Glut warf, verzog sich sein zahnloser Mund zu einem breiten Lächeln.
Der sechsjährige Nikolaus stand neben seinem Vater und beobachtete ihn, wie er ausgesuchte Fleischstücke mit einem spitzen Messer durchbohrte. Solche einfachen arbeiten verrichtete normalerweise ein Knecht, doch heute wollte der Bauer es selbst erledigen. Eifrig reichte der Junge ihm eine Kordel, die Hofmeister durch das Loch fädelte. Nikolaus wusste, dass das Fleisch anschließend im Rauch langsam geräuchert werden würde.
Der Junge wollte den Vater gerade etwas fragen, als Reiter in den Hof trabten. Erschrocken schaute der Knabe auf die großen Pferde, deren mächtige Hufe abdrücke im Boden hinterließen. Hofmeister sah den ängstlichen Blick seines Jüngsten und fuhr ihm beruhigend übers Haar.
Der unerwartete Besuch schien die Knechte und Mägde auf dem Hof in aufruhr zu versetzen. Nur Hofmeister selbst band unbekümmert den nächsten Schinken an ein Seil und sagte, ohne von seiner arbeit aufzublicken: »Falls Ihr den Blutzehnt für das Schwein meines Schwagers eintreiben wollt, so kommt ihr zu spät. Wir haben bereits vor zwei Tagen ein Huhn zu Euch bringen lassen – für mein Schwein ist kein Zehnt nötig.«
»Das wissen wir, Hofmeister!«, antwortete der Mann mürrisch und stieg von seinem Pferd. »außerdem ist es als Jäger des Grundherrn nicht meine aufgabe, den Zins fürs Schlachten einzutreiben, Bauer«, fügte er herablassend hinzu.
Auch wenn Hofmeister ein freier Bauer war, so war er doch ein Bauer, und ihn das spüren zu lassen, schien dem Jäger Vergnügen zu bereiten.
Langsam sah Hofmeister auf, sagte aber nichts, sondern wartete. Er hoffte, den Jäger dadurch zu verunsichern. Hofmeister erkannte, dass dieser nur mit Mühe seine abneigung unterdrücken konnte, denn er presste zwischen schmalen Lippen unwirsch hervor: »Wir sind gekommen, weil jemand in unseren Wäldern wildert. Erst letzte Nacht wurde einer meiner Männer
mit einem Pfeil verletzt, und nun suchen wir den Mistkerl, der ihm das angetan hat.«
»Warum kommt Ihr dann zu mir?«, fragte Hofmeister ruhig. Die Blicke des Jägers und des Bauern kreuzten sich.
»Was gibt es Einfacheres, als frisch erlegtes Wild zwischen Schweinefleisch verschwinden zu lassen«, raunzte einer der Treiber, die den Jäger
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