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Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Zinßmeister
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wollte Götze wissen.
    Wendel kratzte sich am Kopf, sodass der Staub aus seinem Haar nur so auf die Tischplatte rieselte, bevor er schließlich antwortete: »Sie sind auf den Weg ins Elsass.«
    »Ins Elsass?«, rief Götze ungläubig. Wendel nickte und erklärte: »Ich habe gehört, dass die Burschen friedlich übers Land gezogen sind und in Dörfern Gleichgesinnte gesucht haben. Stetig sind es so mehr Weggefährten geworden. aber als ihnen eine Geschichte aus dem Elsass zugetragen worden ist, sollen sie sich wütend dorthin auf den Weg gemacht haben.«
    Verwirrt fragte anna Maria: »Welche Geschichte? Und wo liegt dieses Elsass überhaupt?«
    Fast mitleidig ruhte Wendels Blick auf dem Mädchen, als Götze ihn ungeduldig aufforderte: »Jetzt sag uns schon, warum die Burschen ins Elsass marschiert sind! Schließlich sind es bis dorthin ja mehrere Tagesmärsche.«
    Wendel schien innerlich mit sich zu ringen und entgegnete schließlich: »Die Geschichte ist wahrlich abscheulich.«
    »Erzählt!«, bat ihn anna Maria. Ihr Gesicht hatte einen entschlossenen ausdruck angenommen.
    Zaghaft begann Wendel zu berichten.
    »Wie wir alle wissen, hat das Bauernvolk kein Jagdrecht. Selbst, wenn das Wild ihnen die junge Saat vernichtet oder die Rinde von den Bäumen frisst, darf der Bauer weder Hirsch noch Reh noch sonst ein Stück Vieh erlegen. Im Elsass hat nun eine Rotte Wildschweine zum wiederholten Mal den acker eines Bauern umgepflügt und so großen Schaden angerichtet. Da der Bauer sich nicht mehr zu helfen wusste, legte er sich nachts auf die Lauer und tötete mehrere Schweine. als das der Landesherr
erfuhr, ließ er dem Bauern beide augen ausstechen, damit er sich nie wieder über den anblick des Wildes zu ärgern brauchte. anschließend vertrieb er den blinden Mann samt seiner Frau und vier kleinen Kindern von seinem Land.«
    »Wie furchtbar!«, stöhnte anna Maria auf.
    Götze schüttelte den Kopf. »So sahen es die Burschen wohl auch. Sie sollen außer sich gewesen sein. Und sie schworen, dass sie ›Göttliches Recht‹ vom Landesherrn im Elsass fordern würden. Niemand konnte sie aufhalten, und so machten sie sich vor einigen Tagen auf den Weg dorthin.«
    »Was haben sie mit ›Göttliches Recht‹ gemeint?«, wollte anna Maria wissen. Wendels Blick schweifte kurz zu Götze, der stumm nickte.
    »Das ist nicht einfach zu erklären, aber ich werde es versuchen. Bereits vor vielen Jahren forderten wir das ›alte Recht‹ für die Bauern zurück.« Stolz blickte Wendel zu seinem Freund, der seinen Blick erwiderte. »Früher«, fuhr Wendel fort, »hatten die Bauern das Recht fortzuziehen, wenn sie anderswo ihr Glück versuchen wollten. Es war ihnen erlaubt, Partei zu ergreifen, wenn sich zwei Herren um ein Dorf stritten – einen zu unterstützen und ihm damit zum Sieg zu verhelfen. Sie konnten heiraten, wen sie wollten, und mussten bei der Hochzeit keine Sonderabgaben verrichten. Sie durften jagen und fischen, wo immer sie mochten, und wenn die Eicheln reif waren, ihr Vieh in die Wälder treiben. Holz zum Bauen und Brennen nahmen sie, so viel wie sie benötigten, denn nach der Bibel sind alle Menschen gleich. Doch die Pfaffen und der adel haben uns um unsere alten Rechte betrogen. Sie rechtfertigen ihre Forderungen und Steuern damit, dass die alten Rechte nur überliefert, aber nirgends niedergeschrieben seien, und kein Bauer wagte es, sich gegen diese Erklärung aufzulehnen. Selbst uns gelang es nicht, etwas zu ändern, obwohl wir es, weiß Gott, gewollt haben, und Tausende sich zusammenfanden, um für das ›alte
Recht‹ zu kämpfen. Selbst unser anführer und Freund, der alles versucht hatte und dem wir bis in den Tod gefolgt wären, war machtlos gegen adel und Kirche. als Martin Luther seine Schrift ›Von der Freiheit eines Christenmenschen‹ herausbrachte, gab er den Menschen die Hoffnung zurück, denn dieser Mann versteht unsere Sorgen und Forderungen. Und wir, wir können anhand des Evangeliums unsere alten Rechte wieder einfordern.«
    Wendel nahm einen kräftigen Schluck Bier. Kurz stierte er in den Krug und schien nachzudenken. Dann sah er auf und fuhr mit kraftvoller Stimme fort: »Die Bibel ist das wahre Gesetz! Hier steht geschrieben, was uns zusteht. Das ist das ›Göttliche Gesetz‹ – besser, wahrer und größer als das ›alte Recht‹. Wir sind Christen und wollen nach keinem Gesetz leben, das nicht das Gesetz Gottes ist. Wer dem Gesetz Gottes widerspricht oder es nicht anwenden will – sei es ein

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