Gabe der Jungfrau
eine Mistgabel voller Dung in Händen. Er wollte schon auf die Reiter zugehen, als der Jäger die Hände hob.
»Es ist gut! Bleib, wo du bist! Der Gestank ist ja nicht auszuhalten!«
Der Junge zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging zurück in den Stall. Die Tür ließ er diesmal offen stehen.
Der Treiber kam aus dem Keller zurück und erklärte, dass er außer Schweinefleisch nichts hätte finden können.
»Es scheint, als ob Ihr mit der Wilderei nichts zu tun habt!«
»Ich hatte nichts anderes erwartet!«, erklärte der Bauer lächelnd. Doch da meldete sich Nikolaus zu Wort, und bevor
man ihn daran hindern konnte, sagte er geheimnisvoll: »Ich weiß, wer im Wald die Rehe tot macht!«
Hofmeister schien zu erstarren, und seine Frau wurde bleich. Der Jäger des Grundherrn lächelte. »Hört, hört! Dachte ich es mir doch! Dann erzähl uns, was du weißt, mein Junge!«
Nikolaus strahlte ihn an. Dann erklärte er flüsternd und mit Ehrfurcht in der Stimme: »Es ist der Waldgeist! Er zieht die armen Rehe zwischen die Wurzeln der Bäume!«
Kaum hatte der Junge das ausgesprochen, prusteten das Gesinde sowie die Hofmeisters laut los. Nur dem Jäger war nicht zum Lachen zumute.
»Törichtes Balg!«, schimpfte er den Knaben, saß auf und wendete sein Pferd. Im selben augenblick streckte der Stalljunge zitternd seinen Kopf aus der Schweinestalltür. Gerade rechtzeitig galoppierten der Jäger und seine Begleiter vom Hof, denn die Mütze des Jungen verrutschte, und eine honigblonde Strähne lugte hervor.
Elisabeth Hofmeister schob die Tierhaut an der Fensteröffnung zur Seite und atmete die kühle Nachtluft ein. Sterne funkelten wie goldene Edelsteine am schwarzen Nachthimmel. Die kühle Luft nahm ihr den Druck von den Schläfen, über die sie immer wieder mit den Fingerkuppen strich. Peters schwere Verletzung sowie das unangenehme Zusammentreffen mit dem Jäger bereiteten ihr Kummer. Schon seit dem frühen abend klopfte der Schmerz hinter ihrer Stirn. Erst jetzt, wo der Tag zu Ende war, fing sie langsam an, sich zu entspannen. Sorgfältig verschloss sie die Luke mit dem Ledertuch. Gemischte Gefühle tobten in ihrem Innern, als sie zu ihrem schlafenden Mann blickte. Fragen, auf die sie keine antworten finden konnte, beschäftigten Elisabeth nicht zum ersten Mal. Schon lange war ihr bewusst, dass sie fast nichts über Daniel wusste.
Schon gleich zu Beginn ihrer Ehe hatte Elisabeth gespürt, dass ihn ein Geheimnis umgab. Doch jeden ihrer Versuche, mit ihm über seine Vergangenheit zu sprechen, erstickte er im Keim.
Die Frage, warum ihr Vater seine Tochter einem Fremden zur Frau gegeben hatte, blieb ebenso unbeantwortet wie die, was Daniel und ihr Vater damals in der Scheune besprochen hatten. Von Mittag bis spät in die Nacht hatten sich die beiden Männer nicht blicken lassen, und erst weit nach Mitternacht hatte man sie wieder zu Gesicht bekommen – ein jeder von beiden wirkte zufrieden. Zwei Tage später erfuhr Elisabeth von ihrem Vater, dass sie und Daniel heiraten würden. Wie ein Lauffeuer hatte sich damals die Neuigkeit in ihrem Heimatort Schallodenbach verbreitet, und bereits am abend stand Stefan im Hof von Elisabeths Eltern, den Hopfenstetters. Er war völlig außer sich und verlangte eine Erklärung des Bauern. Schließlich war ihm Hopfenstetters Tochter seit längerem versprochen gewesen.
In der Erinnerung hörte Elisabeth noch immer die Worte ihres Vaters: »Es ist, wie es ist!« Mehr sagte er nicht, sondern schickte den jungen Mann rüde fort.
Kurz darauf wurden Daniel und sie Mann und Frau.
Im Rückblick musste Elisabeth sich eingestehen, dass die Wahl des Vaters richtig gewesen war.
Als sie Stefan nun zum ersten Mal nach Jahren wiedergesehen hatte, war sie über seinen anblick erschrocken. Seine Statur war gedrungen, er wirkte wie aufgeblasen. Keuchend war er vom Pferd gestiegen und nur mit Hilfe eines der Treiber konnte er wieder aufsitzen. auch seine Haare hatten sich gelichtet, und tiefe Falten waren in sein Gesicht gegraben. Die beiden Furchen rechts und links neben den Nasenflügeln verliehen seinem Gesicht ein verbittertes aussehen. auch wusste sie, dass er keine hübschen Kinder gezeugt hatte – sie waren unförmig wie er selbst.
Ganz anders ihr Mann Daniel! Er hatte ihren Kindern nur das Beste vererbt. Hübsch waren sie und gesund. Elisabeth fand, dass besonders anna Maria ihrem Vater glich. Sie hatte seinen unbeugsamen und starken Willen. auch wie anna Maria den Jäger und
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