Gabe der Jungfrau
die Treiber am Morgen getäuscht und so getan hatte, als sei sie Peter, war unverkennbar ein Talent, das sie von ihrem Vater hatte. Das Mädchen hatte einen kühlen Kopf bewahrt, meisterhaft alle hinters Licht geführt und so ihren Bruder Peter gerettet. auch Daniel schien von anna Marias Täuschung beeindruckt zu sein. Elisabeth hatte beobachtet, wie Daniel im Vorbeigehen seiner Tochter kurz auf die Schulter geklopft hatte. aber ein Gestank war das gewesen! Elisabeth musste beim Gedanken daran lächeln. anna Maria war so durchgefroren, dass die Magd immer wieder heißes Wasser in den Waschtrog nachgießen musste. Selbst beim Essen hatte das Mädchen noch mit den Zähnen geklappert.
Seufzend setzte sich Elisabeth auf die Bettkante. Mit einem schüchternen Lächeln betrachtete sie ihren Mann beim Schlafen. Sein Oberkörper war halb entblößt, und nur mühsam konnte sie sich beherrschen, ihm nicht über die breite Narbe zu streicheln, die quer von seiner linken Schulter über die Brust verlief. In der Hochzeitsnacht hatte sie weitere Narben entdeckt. Eine besonders unansehnliche an seinem Oberschenkel zeugte von einer tiefen Verletzung, die er jedoch erst auf der letzten Wallfahrt bekommen haben musste. Die Frage, woher die Wunden stammten, blieb genauso unbeantwortet wie all die Fragen über seine Pilgerzeit. Dabei hätte Elisabeth so vieles gern gewusst. außer Mehlbach, ihrem Heimatort Schallodenbach und ein paar Nachbarorten kannte sie nichts von der Welt. Sie wäre immer gern mit ihrem Mann gereist. aber auch wenn er sie mitgenommen hätte, sie wäre nicht gegangen. Ihre angst vor dem Unbekannten hätte gesiegt. Elisabeth bewunderte ihren Mann für seinen Mut, in die Fremde zu ziehen. Und stets
lauschte sie aufmerksam seinen seltenen Erzählungen. Eines Tages hatte Elisabeth bei einer Geschichte aufgehorcht, denn ihr wurde plötzlich klar, dass ihr Mann immer die gleichen Erlebnisse erzählte – nur stets in andere Worte verpackt.
Seit sie das bemerkt hatte, hörte sie aufmerksamer zu, und von Mal zu Mal wurde das Geheimnis um sein Leben größer. Doch da er ihren Nachfragen auswich, gab sie es bald auf, mehr von ihm zu erfahren. In Gedanken aber grübelte sie weiter darüber nach. Zeitweise hegte sie sogar Groll gegen ihn, weil er sie im Unklaren ließ. Wenn sie dann jedoch die begehrlichen Blicke der Weiber sah, die ihrem Mann schmachtend hinterherschauten, war sie mit ihrem Schicksal versöhnt.
Sie konnte die Frauen verstehen, denn Daniel war ein stolzer Mann. anders als die meisten war er hoch gewachsen, hatte eine volle dunkle Haarpracht und alle Zähne. Wenn man ihn so sah, hätte man annehmen können, dass er ein Landsknecht war.
Allerdings kamen aus seinem Mund auch grobe Worte, und er duldete keinen Widerspruch. Obwohl er oft den Lederriemen einsetzte, war er ein guter Vater und Ehemann. Er sorgte für seine Familie, und es mangelte ihnen an nichts. In den letzten Jahren war er nicht mehr fort gewesen, sodass Elisabeth keinen Grund hatte, ihm zu misstrauen. Im Gegenteil, das Vertrauen zwischen ihnen war gewachsen und aus Zuneigung sogar Liebe entstanden.
Begehrlich schaute Elisabeth ihren schlafenden Mann an. Im Bett war er nicht nur ein stürmischer, sondern auch ein einfühlsamer Liebhaber. Zu Beginn ihrer Ehe hatte sie den Beischlaf teilnahmslos über sich ergehen lassen, denn sie glaubte, dass eine Frau nur gefügig sein dürfte. Doch Daniel hatte sie anderes gelehrt und gewusst, wie er Lust in ihr wecken konnte.
Mit heißen Wangen streichelte sie vorsichtig seine Brusthaare. »Wer bist du?«, flüsterte sie im Glauben, dass er fest schlafen
würde. Sie täuschte sich. Mit geschlossenen augen zog er sie an sich. Fast gleichzeitig schob er das Betttuch nach unten und Elisabeth das Hemd über das Gesäß. als er in sie eindrang, stöhnte er laut auf.
Mehlbach, 1525
Mit einem Krug Wasser, Seife und dem Rasiermesser betrat die Magd Lena die Schlafstube des Bauern. Doch als sie seinen Blick sah, wusste sie sogleich, dass er etwas anderes dringender brauchte als eine Rasur. Nachdem sie die Gegenstände auf der Truhe abgestellt hatte, öffnete sie die Kordel ihres Kittels und ließ diesen langsam zu Boden gleiten.
Gut gelaunt und mit glatt rasiertem Kinn stand Hofmeister wenig später am Fenster seiner Stube und schaute in dem augenblick auf den Hof hinunter, als sein jüngster Sohn Nikolaus durch das Hoftor trat.
Am Tag zuvor hatte der Bauer den Burschen damit beauftragt, am nächsten
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