Gabe des Blutes
gesagt. Und trotz ihrer zeitweiligen Verwirrung hat Mystique sich als Frau mit Prinzipien erwiesen.«
»Verstehe. Sie hat sich schon mit Liandra angefreundet. Doch Liandra ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihr Bruder. Warmherzig, freundlich und bestimmt. Ich bin erstaunt, wie sicher Mystique in ihrem Urteil über andere ist, und das ohne Empathie oder Telepathie.«
»Sie hat einen großartigen Instinkt«, bemerkte Reule. »Vor allem wenn es um die Beweggründe und Absichten anderer geht. Vielleicht ist das eine ’pathische Fähigkeit, derer wir uns nicht bewusst sind. Es scheint kaum jemanden zu geben, der sie überraschen kann.«
»Ich glaube, dass das viel mit Lebenserfahrung zu tun hat. Ich nehme an, sie hat die dunkle Seite dessen gesehen, wozu Leute imstande sind, um ihre eigenen Interessen voranzutreiben.«
»Ja. Zu viel von der dunklen Seite, wenn du mich fragst.«
Darcio sah aufmerksam zu, wie der Blick des Primus zu dem mürrischen Gesicht seines Thronfolgers wanderte.
»Was hat er getan?«
»Etwas Unverzeihliches. Trotzdem besteht sie darauf, dass ich ihm wegen Amando vergebe. Nicht wegen ihr, sondern wegen Amando und Rye selbst.« Reule schüttelte den Kopf. »Ich sehe das anders als sie, aber wie könnte ich mich darüber hinwegsetzen, wenn sie so sehr darum bittet?«
»Hmm. Wie leicht so abgehärtete Krieger wie wir doch wegen eines Kusses und wegen einer Zärtlichkeit einknicken«, murmelte Darcio.
»Das ist fast so schlimm, wie zu sagen, ich bin vernarrt«, warnte Reule lachend.
»Ich habe gedacht, der Nachmittag würde dich in eine etwas zufriedenere Stimmung versetzen«, beklagte sich Darcio gutmütig.
»Sprich mit mir morgen früh. Ich habe vor, dann viel zufriedener zu sein.«
Mystique hob den Kopf, als Darcios Gelächter erklang. Belustigt blickte sie zu Reule, und der zwinkerte ihr zu. Sie konnte sich denken, worüber die beiden Weggefährten sprachen, und sie wurde knallrot und senkte den Blick.
»Mistkerle«, stellte Liandra fest und schnaubte bei dem Anblick. »Es ist lange her, dass eine Frau unter ihnen war. Eine, die ihnen ihre schlechten Manieren abgewöhnen könnte. Darcios wilde Seite ist so groß wie unsere Ebenen.«
»Darcio?«, fragte Mystique so ungläubig, dass Lia lachen musste.
»Nun, vielleicht eher in seiner Jugend. Und mit Reule an seiner Seite. Obwohl unser Primus todernst und verantwortungsvoll war, als es darum ging, ein neues Zuhause für uns zu schaffen. Doch ich sollte keine Geschichten erzählen. Er war damals ja noch viel jünger.« Liandra drückte ihre Hand. »Er braucht neben dem Rudel etwas im Leben. Und das hat er gefunden.« Lia kicherte. »Es gibt einen Haufen enttäuschter Hofdamen heute.«
Liandra wies mit dem Kinn auf mehrere Gruppen von Frauen, die herumstanden und hinter dem Fächer miteinander flüsterten. Mystique war sich bewusst, dass deren Aufmerksamkeit ihr galt, doch sie schenkte dem keine Beachtung.
»Ihr Urteil ist mir nicht wichtig«, sagte sie mit einem Schulterzucken. »Wichtig ist mir nur, dass Reule stolz auf mich ist.«
»Oh, er ist stolz. Und noch viel mehr. Du spürst es vielleicht nicht, aber ich schon.« Mit einem Funkeln in ihren farngrünen Augen beugte sie sich vor. »Er ist ganz hingerissen von dir. Er kann kaum den Blick von dir abwenden. Wie hältst du das nur aus? Ich würde nachsehen, ob ich irgendwelche Essensreste zwischen den Zähnen habe, wenn mich jemand so anschauen würde.«
»Aber Lia«, ermahnte Mystique sie kichernd. »Du bist unmöglich.«
»Komm, mal sehen, ob es schon angefangen hat zu schneien.« Lia erhob sich, griff nach Mystiques Hand und zog sie mit sich. »Du kannst mir sämtliche Einzelheiten über Reule erzählen, die ich bisher nur vom Hörensagen kenne.«
Mystique gefiel Liandras Schamlosigkeit. Es erinnerte sie an Amando, doch mit ihrer direkten Art und ihrem Schalk übertraf sie ihn noch.
Mystique folgte ihr gehorsam, während Liandra sie im Zickzackkurs durch den vollen Bankettsaal zog. Plötzlich stellte sich ihnen eine Gruppe Frauen, die sich in der Nähe versammelt hatte, in den Weg. Eine pausbäckige Rothaarige mit schlanker Taille und runden Hüften trat vor. Sie hatte wunderschöne blaue Augen, und ihre dunklen Wimpern waren mit Gold bestäubt, sodass sie bei jeder Bewegung glitzerten. Ihr Reichtum war an ihrem etwas übertriebenen Schmuck abzulesen.
»Liandra, Liebes, mein Beileid«, sagte sie mit sanfter Stimme. Ihre Haltung, bis hin zu der mitfühlenden Berührung
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