Gabe des Blutes
Haar, zu einem verschlungenen Knoten gedreht, war so golden wie die Ketten, die sie trug. Es war geschmückt mit Onyx, was zu dem rauchschwarzen Samt ihres Trauerkleids passte. Eine rote Schärpe um die schlanke Taille war alles, was sie an königlichen Farben trug, ein Tribut an den Beruf, den ihr Bruder gewählt hatte.
»Du bist nicht so wie die Fremden, denen ich bisher begegnet bin«, sagte sie geradeheraus, während sie Mystique mit ihren grünen Augen aufrichtig anblickte. »Wo kommst du her?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte«, gestand Mystique, »und eine, die ich gerne erzählen möchte, aber ich weiß, dass Reule auf uns wartet, um Amando im königlichen Mausoleum zur letzten Ruhe zu betten.«
»Bitte.« Liandra umklammerte Hilfe suchend Mystiques Hand. »Bleibst du bei mir? Justas ist so … Er ist mein Bruder, und ich liebe ihn, aber er braucht Zeit, um die Tiefen abzuschütteln, bevor ich auf seine Unterstützung zählen kann. Ich war ganz überwältigt von dem, was du gesagt hast, deshalb habe ich geweint, aber ich weiß, dass deine Unterstützung heute Abend hilfreich sein wird. Du bist eine Frau. Du verstehst das.«
»Ja.« Mystique drückte ihre Hand und lächelte. »Es wäre mir eine Ehre. Wenn wir beim Bankett vielleicht zusammensitzen, kann ich dir erzählen, wie ich hierhergekommen bin.«
»Das wäre schön.«
Der Primus und die zukünftige Prima von Jeth hätten am Kopf des Tisches mit den königlichen Plätzen sitzen sollen, neben ihnen jeweils ihre Schattenleute. Das waren die Änderungen, die Reule veranlasst hatte, um Mystique die Ehre zu erweisen, die ihr gebührte. Trotzdem hatte die zukünftige Prima ihn früh verlassen und sich den Platz eines anderen geschnappt, um neben Liandra zu sitzen, und die beiden hatten die ganze Zeit miteinander geflüstert. Oh, er brannte vor Neugier und hätte gerne gehört, warum sie abwechselnd so ernst waren und dann wieder in Kichern ausbrachen. Doch genau das war es, was helle und dunkle Trauer bedeutete, und er hatte kein Recht, neugierig zu sein. Er war nur erstaunt, wie rasch sie Freunde gewinnen konnte. Sie hatte diese Fähigkeit von Anfang an gehabt, er war das beste Beispiel dafür.
Nach der Grablegung war die Stimmung beim Bankett immer heiterer geworden. Überall um ihn herum wurde geplaudert, auch wenn niemand ihn direkt ansprach. Darcio hatte es bald aufgegeben, da Reules Aufmerksamkeit zu oft dorthin gewandert war, wo Mystique saß. Chayne, der seine Pflichten ernst nahm, hatte auf einem Stuhl ganz in der Nähe seines Schützlings Platz genommen.
»Vernarrt.«
Reule drehte sich zu Darcio um, der ihn angrinste.
»Ist das nicht das Wort dafür, mein Primus? Vernarrt? Wenn ein Mann von einer Frau so besessen ist, dass er den ganzen Tag um sie herumscharwenzelt?«
»Vielleicht hast du recht und es ist das Wort dafür. Doch nur Männer, die darauf aus sind, wichtige Körperteile zu verlieren, benutzen dieses Wort gegenüber ihrem Primus.«
»Komm schon, Primus«, lachte Darcio, »sei stolz auf das großartige Ende deines Junggesellentums. Es steht dir gut. Und ihr ebenfalls.« Reule folgte dem Blick seines Schattenmanns zu Mystique und musste lächelnd zustimmen.
»Sie ist erstaunlich«, gestand er. »In vielerlei Hinsicht.«
»Das ist alles ziemlich schnell gegangen«, fuhr Darcio eilig fort, als Reule ihn böse ansah. »Du bist ein Mann, der weiß, was er will, also stelle ich das nicht infrage. An deinen Gefühlen gibt es keinen Zweifel. Das ganze Rudel ist seit diesem Nachmittag davon überzeugt.« Darcio räusperte sich. »Es ist nicht so leicht, sich über ihre Gefühle klar zu werden«, bemerkte er. »Sie ist emotional in Aufruhr. Es überfordert meine Sinne. Andererseits bin ich kein so starker Empath wie das restliche Rudel.«
»Sie ist auch für mich nicht leicht zu ergründen, das kann ich dir sagen«, sagte Reule geduldig. »Sie fühlt gleichzeitig Dinge aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Auch wenn sie nicht weiß, wo das eine anfängt und wo das andere aufhört. Sie hatte vorhin einen Angstanfall und bekam keine Luft mehr. Auch jetzt bin ich mir noch nicht sicher, ob es daran lag, dass ich sie gebeten habe, meine Prima zu werden, oder ob es eine Angst aus der Vergangenheit war.«
»Vielleicht etwas von beidem. Es war egoistisch von dir, ihr die Rolle der Prima so rasch aufzubürden.«
Reule grinste und warf seinem Freund einen Seitenblick zu. »Das habe ich ihr auch gesagt. Aber sie hat begeistert Ja
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