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Gabe des Blutes

Gabe des Blutes

Titel: Gabe des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacquelyn Frank
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einfachen Dingen, körperlichen Erinnerungen der letzten Stunden, die ihm einen Anhaltspunkt geben und es ihm ermöglichen würden, in der Zeit zurückzugehen, damit er die Ereignisse nicht durcheinanderbrachte. Er würde genug über die letzten Stunden in Erfahrung bringen, um den Ablauf der Ereignisse in ihrem Körper festmachen zu können.
    Die erste Erinnerung war immer von kraftvoller Eindringlichkeit. Sie fuhr durch Darcios Bewusstsein wie eine heftige Explosion und traf ihn dann unvermittelt wie eine misstönende Symphonie. Lichter blitzten, Lärm ertönte, Empfindungen verstärkten sich … und diesmal war es nicht anders.
    Seltsamerweise war es eine Erinnerung an Reule, die Darcio erlebte. Er hatte nicht bedacht, dass Reules Unruhe vorhin vielleicht mit dem fremden Mädchen zu tun haben könnte. Sie war nicht einmal bei Bewusstsein gewesen, als Reule sie hergebracht hatte.
    Fünf Sekunden später wusste Darcio, was Reule so verstört hatte. Er beschwor alles wieder herauf, was das namenlose Mädchen im Pool erlebt hatte; jede Hitzewelle und jede fürsorgliche Berührung Reules. Sie war nicht bei Bewusstsein gewesen, doch ihr Körper erinnerte sich daran, weshalb auch Darcio sich erinnerte.
    Der schattenhafte Gefolgsmann wusste, dass sein Primus das Erlebte mit ihm teilte, indem er seine telepathischen Fähigkeiten nutzte, um in dem fremden Mädchen zu lesen. Wäre es irgendjemand anderes aus dem Rudel gewesen, wäre Darcio vielleicht peinlich berührt gewesen, als er Berührungen sah, die einmal zärtlich, dann wieder verführerisch waren. Doch Reule und er lebten seit fünfundachtzig Jahren Seite an Seite. Sie hatten gemeinsam trainiert, gekämpft und herumgehurt, waren gemeinsam älter geworden und hatten viel erlebt, Gutes und Schlechtes. Mit einundneunzig und achtundneunzig waren sie auf dem Höhepunkt eines Sánge-Lebenszyklus. Obwohl die stürmische Jugend vorbei war, ahnte Darcio, dass er und Reule noch eine Menge gemeinsam erleben würden, bevor alles vorbei war.
    Auch wenn Reules sexuelles Interesse ihm nicht die Schamesröte ins Gesicht trieb, beunruhigte es Darcio dennoch. Er würde sich mit seinem Urteil zurückhalten, bis er die Suche beendet hatte, doch schließlich waren die Sánge bei Fremden nicht willkommen, und Fremde waren bei den Sánge nicht willkommen. Reule wäre ein Dummkopf, wenn er etwas anderes glauben würde, auch wenn ihre Anhänglichkeit ihm gegenüber sehr ungewöhnlich war. Es kam Darcio so vor, als hinge sie an ihrem Retter nur als Folge eines tiefen Traumas und …
    … und dann erwachte das Trauma selbst zum Leben, brannte sich in seinen Geist und in seinen Körper ein, bis er das Gefühl hatte, als stünde er in Flammen. Er warf den Kopf zurück und keuchte laut, als der Schmerz ihn durchzuckte. Er schluckte und biss die Zähne aufeinander angesichts der verwirrenden und brutalen Misshandlungen, während seine Augen sich mit Tränen füllten. Wenn sie das ertragen konnte, kann ich es auch , sagte er sich selbst.
    Im Geiste war er weit entfernt vom Bad und von Reule, obwohl er wusste, dass sein Primus bei ihm war und ihn aufmerksam beobachtete, bereit, dem Schmerz ein Ende zu machen, den zu erleiden er seinen Freund gebeten hatte.
    Moder und Schimmel und schreckliche Kälte. Jeder Zentimeter seiner Haut brannte unter offenen und kaum verheilten Wunden. Etwas an dem, was er empfand, war seltsam, auch als ihn immer wieder die Traurigkeit übermannte, eine Verzweiflung, die ihm den Atem nahm und die ihn zum Weinen brachte, obwohl er zu durstig, zu hungrig und zu müde war zum Weinen. Es gab kurze Phasen von Schlaf, doch immer war es kalt. Dann wieder dieses seltsame Zucken, das durch seinen – ihren – Körper fuhr. Erst leicht, dann immer heftiger, während ihre Verfassung sich mit der Zeit verschlechterte.
    Schakale. Er spürte sie, nahm sie wahr, doch sie konnte sich vor den Schakalen verstecken, die gleich vor ihr hämisch herumtänzelten.
    Darcio sprang von der Bank auf und brüllte vor Schmerz, dann sank er auf die Knie, während Reule ihn festhielt. Allein und doch nicht? Allein und dennoch gefoltert? Kein Hinweis, nur der Schmerz. Tief und bohrend. Er ging weiter in der Zeit zurück, der Hunger ließ nach, sodass er zwar zu spüren war, aber nicht quälend, genauso wie der Durst, und das Bild der Schakale verblasste innerhalb von achtundvierzig Stunden, bis sie wirklich ganz allein war.
    Splitter, die in ihrer Haut steckten, verschwanden, die Spuren von Schimmel und

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