Gabe des Blutes
Moder verblassten, es wurde wärmer, während ihr Körper in den dritten Stock glitt, in den zweiten … den ersten. Langsam, weil es beinahe einen Tag dauerte, da sie unter schrecklichen Schmerzen hinaufgekrochen war. Da war das Brennen, das brutale Glühen an den Hüften, am Rücken und an den Schultern. Das Haar wirr, die Kopfhaut abgeschürft und blutig. Jeder Zentimeter schmerzte, ein paar Knochen waren gebrochen. Manche sogar zweimal.
Weil das Ereignis rückwärts ablief, war Darcio verwirrt. Vor drei Tagen hatte sie sich die Knochen gebrochen, nicht heute. Wie war das möglich? Er war nicht gebeten worden, die Antwort darauf zu finden. Reule hatte nur wissen wollen, ob die Schakale sie vergewaltigt hatten. Das hatten sie nicht. Sie hatten nicht einmal mitbekommen, dass sie da war, auch wenn er nicht wusste, weshalb. Doch welches Ereignis hatte sie in einen solchen Zustand versetzt? Ein Kampf? War sie tatsächlich angegriffen worden, allerdings von jemand anderem?
Sein Körper schmerzte und pochte, als er die Not und den Schmerz einer zarten Frau durchlitt, die die Tapferkeit und die innere Stärke eines erfahrenen Kriegers hatte. Während er die traumatische Erfahrung nacherlebte, war sich Darcio nicht sicher, ob er so zäh und widerstandsfähig gewesen wäre.
»Darcio, konzentrier dich«, hörte er Reule sagen.
Also ging es weiter. Feuchtigkeit und der Geruch nach Sumpf und Moor. Erde. Gras. Unter seinen Händen und Knien. Und er kroch über die sich verändernde Gegend, und jede Bewegung war Schmerz, auch wenn es das Einzige war, das ihn im kalten Vorwinter warm hielt. Bei einem Sturz brach er sich den Arm. Dann war da Wundschmerz zwischen den Beinen, und er hatte heftige Schmerzen in den Oberschenkeln.
Darcio spürte, wie sich Reule neben ihm anspannte, doch sein Primus deutete den Grund für sein Unbehagen falsch. Darcio war ein viel zu geübter Reiter, um nicht zu wissen, wie ein vom Sattel wundes Hinterteil sich anfühlte. Sie war vom Pferd gefallen und hatte sich den Arm gebrochen. Vor lauter Erschöpfung.
Dann gab es einen Ritt in halsbrecherischem Tempo. Er konnte es an dem Wind im Gesicht spüren, an den wehenden Haaren, die an seiner wunden Kopfhaut zerrten. Aber wie war es möglich, dass die Schmerzen immer schlimmer wurden, je näher der Zeitpunkt rückte, als er sie erlitten hatte? Er kam der Ursache immer näher. Darcio konnte es fühlen, und er hatte Angst. Er machte sich darauf gefasst, und doch traf es ihn wie aus heiterem Himmel. Da war Besinnungslosigkeit und dann eine brutale Übelkeit. Blut aus dem Mund, aus der Nase … überall. Darcio kippte nach vorn und übergab sich heftig.
»Genug! Es ist genug, Darcio!«
Darcio spürte die Hände seines Primus auf den Schultern. Es hatte ihn wieder erfasst, und er war gefangen in der Körpererinnerung und konnte auf einmal nicht mehr loslassen.
Doch wie immer war Reule für ihn da. Darcio spürte den Augenblick, als dieser seine Fähigkeit zum Einsatz brachte. Reule wandte sie an, um Kontrolle über Darcios Gedanken und Gefühle zu bekommen, riss ihn in die Gegenwart, in den Dampf und die Hitze des privaten Bades.
Vergib mir, alter Freund. Ich habe zu viel verlangt. Bedauern schwang in Reules telepathischem Satz mit, doch Darcio winkte ab, während er seinen Rudelführer in den Blick nahm. Reule hatte einen Morgenmantel angezogen, nachdem er aus der Badewanne gestiegen war, wie Darcio feststellte, und dieses kleine Detail gab ihm seine Mitte zurück und holte ihn aus den grausamen Erinnerungen heraus.
»Ich weiß nicht, wie sie eigentlich verletzt wurde«, sagte er entschuldigend. »Ich fürchte, ich habe nur die Hälfte der Hölle erlebt, durch die sie gegangen ist.«
»Du hast genug getan«, sagte Reule, und tiefe Sorgenfalten gruben sich in seine Stirn. »Es tut mir leid, dass ich überhaupt gefragt habe. Jetzt habe ich nur noch mehr Fragen.«
Darcio nickte, und sein Körper schmerzte unter dem Eindruck des Erlebten.
Reule hatte allerdings eine Antwort, die er zuvor noch nicht gehabt hatte.
Er wusste jetzt, warum sie so voller Kummer war.
4
Nachdem er gebadet, sich angezogen und etwas zu Abend gegessen hatte, betrat Reule Chaynes Zimmer. Zu seiner Überraschung herrschte in dem Raum ein Riesentumult. Wie er feststellen musste, war Chayne mitten in einem blutigen Handgemenge, das einem Massenwrestling glich.
»Was um Himmels willen tut ihr da?«
Reules Brüllen klang wie ein Peitschenknall, und alle, auch der heftig keuchende
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